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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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Tschuktschen in Berlin, geschweige denn über die Ur-<br />

Tschuktschen, die Luoravetlanen: Sie werden in der Presse<br />

einfach totgeschwiegen«, schimpfte er.<br />

»Das muss sich ändern«, sagte ich und versprach ihm, eine<br />

Geschichte über die Tschuktschen in Berlin zu schreiben. Doch<br />

außer ihm habe ich bis jetzt noch <strong>kein</strong>e getroffen, also musste<br />

ich Anton interviewen. Zwei Stunden lang haben wir<br />

miteinander gesprochen. Während des Gesprächs stellte sich<br />

heraus, dass die Tschuktschen in Berlin im Großen und Ganzen<br />

wie alle anderen Studenten leben: Mühsam verdienen sie sich<br />

ihr Bafög, wohnen in einer WG, und abends gehen sie in die<br />

eine oder andere Kneipe. Oft haben die jungen Tschuktschen –<br />

Luoravetlanen – bei den Frauen Erfolg, aber noch öfter werden<br />

sie abgewiesen. Doch es gibt etwas, was die Tschuktschen von<br />

den anderen <strong>Berliner</strong>n unterscheidet: Einmal im Jahr fahren sie<br />

in ihr Heimatdorf zu ihrer Mutter in die Tundra. Dort verbringen<br />

sie normalerweise drei Wochen. Alle zweihundert<br />

Luoravetlanen im Dorf sind untereinander verwandt. Wie in fast<br />

jedem Dorf glaubt eine Hälfte der Bewohner an Jesus Christus,<br />

die andere glaubt nur an die eigene Kraft. Außerdem gibt es<br />

einen, der glaubt, er wäre selbst Jesus Christus. Die<br />

Luoravetlanen befinden sich schon seit einer Ewigkeit am<br />

Rande des Aussterbens und stehen deswegen unter der Kontrolle<br />

einer UNO-Kommission. Doch diese Kommission kann ihnen<br />

nicht ständig hinterherlaufen und sie nachzählen. Sie kommt<br />

einmal im Jahr und wundert sich dann, dass die Luoravetlanen<br />

schon wieder weniger geworden sind, obwohl die miesen<br />

Kommunisten auf Tschukotka längst ausgestorben sind.<br />

Letztes Jahr ist die Luoravetlanen-Population erneut um sieben<br />

Seelen kleiner geworden. Die Polizei im Verwaltungszentrum<br />

Anadir hatte einen Hinweis bekommen, dass der berühmtberüchtigte<br />

Serienmörder mit dem Spitznamen<br />

»Schneemensch«, der jeden Monat aus der Tiefe der Tundra<br />

auftauchte und jedes Mal eine Frau mit einer Socke erdrosselte,<br />

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