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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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nach Lichtenrade ausgedacht hatte: »Hier auf der Dackelranch<br />

in Lichtenrade können Riko und seine Freunde ihre<br />

Bewegungsfreiheit in vollem Ausmaß genießen.«<br />

Währenddessen ließ ich Riko los. Anstatt nun mit lustigem<br />

Gebell herumzurennen, plumpste der Dackel wie ein<br />

Kartoffelsack auf die Erde und blieb vor meinen Füßen liegen.<br />

Alle Dackelbesitzer sprangen sofort aus ihrem Häuschen. Sie<br />

waren sichtlich geschockt. Ausführlich erklärten sie mir, dass<br />

Dackel <strong>kein</strong>e Katzen seien und warum nicht. <strong>Ich</strong> entschuldigte<br />

mich. Meine Kollegen waren verzweifelt.<br />

»Ob wir einen neuen Dackel von denen bekommen?«, fragten<br />

sie flüsternd.<br />

Nach zehn Minuten legte sich die Aufregung zum Glück. Riko<br />

wurde entsorgt. <strong>Ich</strong> bekam einen neuen, kurzhaarigen Dackel. Er<br />

hieß Löwe.<br />

»Hier in Lichtenrade können Löwe und seine Freunde ihre<br />

Bewegungsfreiheit in vollem Ausmaß …« – um ein Haar wäre<br />

auch dieser Dackel mir wieder entglitten. Zum Glück hatte das<br />

<strong>kein</strong>er mitbekommen, und ich drückte Löwe fest an meine<br />

Brust, bis er quietschte. Nach zehn Wiederholungen waren wir<br />

mit den Dreharbeiten fertig und alle Dackel noch am Leben.<br />

Wir packten ein und fuhren zur Malewitsch-Ausstellung Unter<br />

den Linden. Es wimmelte von Besuchern, die Museumswächter<br />

waren schon fast am Durchdrehen. Die avantgardistische<br />

Malerei wirkte zusätzlich verstörend auf sie. Der weißrussische<br />

Maler Kasimir Malewitsch hatte noch vor der Großen<br />

Oktoberrevolution seine eigene kleine Kunstrevolution<br />

angefangen, indem er den altbewährten so genannten Brotkorb-<br />

Realismus überwand und eine neue, reinere Bildsprache<br />

entwickelte: die gegenstandslose Malerei, die er dann<br />

Suprematismus nannte. Der Künstler beteuerte mehrmals, seine<br />

Werke wären von der Sünde des Gegenstands befreit. Trotzdem<br />

hörten die Menschen nicht auf, in seinen Bildern nach einem<br />

Gegenstand zu suchen. Und viele fanden etwas. Das Publikum<br />

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