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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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ersten Konzert nach Moskau kam, wollte er nach einem<br />

Spaziergang durch die Stadt partout seine ganze Crew in<br />

Wattejacken und Filzstiefeln auf der Bühne sehen. Danach reiste<br />

er in dieser Uniform einmal um die Welt und machte die<br />

sowjetische Mode im Ausland bekannt. Sie hätte dort unter<br />

Umständen großen Erfolg haben können, dafür aber war es<br />

bereits zu spät. Mit dem Fall des Sozialismus wurde die<br />

Produktion von Wattejacken und Filzstiefeln drastisch reduziert<br />

und schließlich eingestellt. Die Bevölkerung musste sich den<br />

neuen kapitalistischen Verhältnissen anpassen, wobei sie sich<br />

prompt in Arm und Reich teilte. Der starke Westwind pumpte<br />

die ausländischen Konsumgüter ins Land, bei denen für jeden<br />

etwas dabei war. Die Armen bekamen unbegrenzten Zugang zu<br />

wiederauffüllbaren Feuerzeugen, Mickymaus-Aufklebern und<br />

Plastiktüten mit nackten Frauen darauf. Die Reichen bekamen<br />

Tennissocken für fünfhundert Dollar das Paar, fuchsiafarbene<br />

Anzüge und riesengroße Handys, im Volksmund »Röhren«<br />

genannt, die man immer in der Hand oder vor sich auf dem<br />

Tisch liegen hatte, um damit protzen zu können. Der neureiche<br />

russische Schick sollte den Eindruck von Reichtum vermitteln,<br />

deswegen waren bunte und große Sachen angesagt. Heute ist die<br />

russische Männermode viel bescheidener geworden. Sie ähnelt<br />

der deutschen, obwohl hier die Geschmäcker je nach<br />

Postleitzahl sehr unterschiedlich sind.<br />

In Deutschland erinnern mich die Schwaben an die neureiche<br />

russische Art. Besonders die jungen Stuttgarter sind sehr<br />

aufgepeppt. Sie experimentieren gerne mit Klebstoffen im Haar,<br />

mit Lila und Gold. <strong>Ich</strong> weiß nicht, wo sie diese Sachen<br />

hernehmen, vielleicht kaufen sie in Russland ein. In München<br />

tragen junge Menschen dagegen gerne weiße Hemden und<br />

schwarze Anzüge. Das soll wahrscheinlich Unabhängigkeit<br />

signalisieren. In Bremen ist die Männermode punkig:<br />

Lederhosen, dicke Ohrringe und selbst gedrehte Zigaretten.<br />

Vielleicht gehe ich dort aber nur in die falschen Kneipen. Bei<br />

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