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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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Mannschaft gegen die Profis aus Kanada antrat, sahen die<br />

Moskauer Straßen aus wie die Wüste Sahara. Neben den<br />

Kanadiern waren die Finnen und Tschechen unsere<br />

Hauptgegner, später stießen noch die Amerikaner dazu.<br />

Jedes Kind bekam mit fünf seinen ersten Hockeyschläger<br />

geschenkt, präparierte ihn mit dickem Klebeband, krümmte ihn<br />

zum richtigen Bogen, und jedes Kind konnte selbstverständlich<br />

Schlittschuh laufen.<br />

Hockey war allerdings nicht ungefährlich. Jeder hatte bei uns<br />

schon mal mit dem Schläger eins auf den Kopf bekommen und<br />

eine Scheibe mit den Zähnen abgefangen. <strong>Ich</strong> kann sicher nicht<br />

für alle Kinder in der Sowjetunion sprechen. Bestimmt gab es<br />

auch dort irgendwelche Außenseiter, die in geschlossenen<br />

Internaten unter Beobachtung des Fachpersonals Schach oder<br />

Golf spielten, statt auf dem Eis zu laufen. <strong>Ich</strong> kannte sie nicht.<br />

Meine Hockey-Erfahrungen habe ich bis in die späten Achtziger<br />

im Stadion unserer Bezirksmannschaft gesammelt, die den<br />

Namen »Flügel der Räte« trug. Aus heutiger Sicht ein völlig<br />

bescheuerter Name, aber damals fiel das niemandem auf. Das<br />

Stadion, das Kulturhaus daneben und sogar die Bushaltestelle<br />

davor hießen ebenfalls »Flügel der Räte«.<br />

Im Juli 1990 beschloss ich, zusammen mit meinem Freund<br />

Michael nach Deutschland zu fahren. Die DDR existierte damals<br />

noch, was uns erlaubte, mit unserem sowjetischen Pass ohne<br />

Visum und ohne Ausreisegenehmigung bis nach Ostberlin zu<br />

kommen. Die Mauer, die den Osten vom Westen trennte, wurde<br />

aber bereits an mehreren Stellen abgebaut. Auf diese Weise<br />

entstand ein Zeitloch, das uns sowjetische Bürger geradezu<br />

einlud, durch ganz Europa zu trampen. Wir planten eine längere<br />

Reise. Wir hatten Freunde in Amsterdam, wir hatten Freunde in<br />

Paris, in Berlin kannten wir dagegen kaum jemanden. Unser<br />

Plan war deswegen, nur kurz in Berlin zu bleiben und sofort per<br />

Anhalter weiterzufahren.<br />

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