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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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verwickeln. Einmal haben wir sogar zusammen einen<br />

Dokumentarfilm über Michael Jackson angeschaut, der sehr<br />

bildhaft erzählte, wie aus einem armen schwarzen Jungen eine<br />

reiche weiße Frau wurde.<br />

Der Fußballrummel bei der WM ließ Wan Dong hingegen kalt.<br />

Genau wie ich konnte er seinen Lokalpatriotismus bei diesen<br />

Spielen kaum befriedigen. Weder Vietnam noch Russland hatten<br />

sich für die Fußballweltmeisterschaft qualifiziert. Deswegen<br />

fieberten wir ein wenig bei den uns fremden Ländern mit. Er<br />

war für Südkorea, ich für die Schweiz.<br />

Die Fußballbegeisterung vieler <strong>Berliner</strong> konnte ich nicht<br />

nachvollziehen. Fußballfieber eines solchen Grades, dass<br />

Millionen dahinschmelzen, habe ich erst in Deutschland<br />

kennengelernt. Meine Heimat Sowjetunion setzte auf Eishockey,<br />

wenn es darum ging, die Welt mit der eigenen Sportlichkeit zu<br />

beeindrucken und die Bevölkerung von aktuellen Problemen des<br />

Alltags abzulenken. Diese Sportpolitik ließ sich aus der<br />

natürlichen Wetterlage des Landes ableiten. Aufgewachsen bei<br />

Minustemperaturen, waren meine Landsleute schon immer<br />

besonders stark in Sportarten, die mit Eis und Schnee zu tun<br />

hatten: Eiskunstlauf, Biathlon, Skispringen und Eishockey.<br />

Ausnahmsweise gehörten noch Hürdenlaufen und<br />

Hammerwerfen zu den Disziplinen, in denen die Russen<br />

traditionell gut abschnitten. Dieses Phänomen ist ebenfalls auf<br />

spezifische Lebensbedingungen zurückzuführen.<br />

Doch der Fußball rollt schlecht im Schnee. Natürlich hat auch<br />

die Moskauer Jugend gerne bei gutem Wetter die Bälle in<br />

Fenster gekickt. Und manchmal, wenn ZSKA gegen Dynamo<br />

oder Spartak spielte, droschen vor dem Stadion die Jungs mit<br />

rot-weißen Schals und Mützen auf ihre Zeitgenossen ein, die<br />

sich mit blau-weißen Schals und Mützen schmückten. Doch<br />

diese Sportereignisse verblassten völlig, wenn internationale<br />

Eishockeyspiele im Fernsehen übertragen wurden. Diese<br />

Sendungen waren Straßenfeger ohnegleichen. Wenn unsere<br />

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