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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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Wir haben schließlich selbst Kinder. Dann gehen wir halt auch<br />

in den Zirkus oder kaufen uns ein Kilo Gummibärchen, leihen<br />

uns ein paar Kinderfilme in der Videothek aus und veranstalten<br />

einen gemütlichen Kinder-Videotag zu Hause. Milchshakes sind<br />

angesagt. Man passt sich der Umgebung an.<br />

Seitdem mein Kollege, der Geschäftsführer der »Russendisko<br />

Records«, Vater geworden ist, benimmt er sich immer öfter<br />

kindisch. Neulich schickte er mir eine SMS: »Fühle mich als<br />

Geschäftsführer überfordert, zu viel Papierkram, das Kind<br />

schreit, ich kann und will die Geschäftsführung nicht mehr<br />

machen.«<br />

Zehn Minuten später schrieb er: »Habe ein wenig übertrieben,<br />

Kind schläft, kann die Geschäftsführung wieder übernehmen.«<br />

Nicht die Politiker, die Kinder regieren heimlich an unserer<br />

Ecke, sie lassen die Erwachsenen zu ihrer Musik tanzen. Was<br />

allerdings die Ursache für diesen Babyboom sein könnte, ist mir<br />

noch rätselhaft. Es gibt im Prenzlauer Berg wenig Grünanlagen,<br />

viel Verkehr, die meisten Bewohner sind schwul oder<br />

Studenten, in der Regel sogar beides. Doch man braucht <strong>kein</strong>e<br />

Statistik, um zu sehen, dass der Bezirk deutlich den ersten Platz<br />

in puncto Geburtenrate belegt. Selbst das große Kondom-<br />

Kaufhaus auf der Schönhauser Allee konnte daran nichts ändern.<br />

In unserer Schule sind für das nächste Jahr drei erste Klassen<br />

eingerichtet worden, in der Schule gegenüber gleich vier, und<br />

sie reichen nicht aus.<br />

Ein Kollege von mir meinte dazu, die Ursache für den<br />

Babyboom liege im Internet, denn der Babyboom würde sich<br />

logischerweise aus dem Internet-Börsenboom/Crash ergeben,<br />

der vor einigen Jahren stattfand. Viele junge Menschen hätten<br />

damals in relativ kurzer Zeit ziemlich viel Geld verdient und<br />

sich dann aus dem Staub gemacht. Anstatt weiter zu investieren,<br />

seien sie in Frührente gegangen, hätten sich im Prenzlauer Berg<br />

gemütlich einquartiert und mehrfach reproduziert.<br />

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