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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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wider ins Lot zu bringen. Sofort steigt der Gesellschaftsklima-<br />

Index um zweitausend Punkte.<br />

Für die neue Kanzlerin ist es natürlich problematischer, im<br />

Fernsehen zu kicken. Sie hat die falschen Schuhe an. Aber auch<br />

sie wird am Fußball nicht vorbeikommen. <strong>Ich</strong> <strong>bin</strong> sicher, eines<br />

Tages bei der Abendshow unter dem Titel »Bundeskanzlerin<br />

trifft sich mit der deutschen Nationalmannschaft« steht auch<br />

Merkel medienwirksam im Tor.<br />

Das Fußballfieber ist die graue Eminenz, die dieses Land<br />

heimlich regiert. Auch ich habe mich inzwischen angesteckt und<br />

schaue mir manchmal Fußballspiele an. Früher waren<br />

Sumokämpfe meine Lieblingssendungen bei Euro-Sport: Große<br />

dicke Männer drücken einander aus dem Ring und klopfen sich<br />

freundlich auf die Schenkel – alles Japaner beziehungsweise von<br />

Japan eingekaufte Mongolen. Aber dann kam plötzlich ein<br />

Georgier mit stark behaartem Körper. Sein japanischer Gegner<br />

verfing sich in seinen Bauchhaaren, ein falscher Schritt, und<br />

schon flog er raus. Niemand hatte so richtig bemerkt, was<br />

passiert war, trotzdem klatschten alle.<br />

Fußball dagegen kam mir lange Zeit ziemlich zappelig vor.<br />

Die Sportler machen viel Lärm, die Fans sowieso, und dabei<br />

passiert stundenlang nichts Spannendes auf dem Feld. Mein<br />

persönliches Fußballfieber begann erst während eines<br />

Familienurlaubs auf Mallorca. Wir hatten ein Zimmer mit<br />

Meerblick in einem kinderfreundlichen Hotel gebucht. Aber wie<br />

es so oft bei diesen Reisekatalogen ist, hatten sie uns nicht die<br />

ganze Wahrheit gesagt. Zwischen dem Meer und unserem<br />

Balkon befand sich das Strandcafé Malibu. Dort saßen jeden<br />

Tag zweihundert Männer vor einer großen Leinwand und<br />

brüllten bis tief in die Nacht »Tooor!« oder »Ouhhh!«. Die<br />

Europameisterschaft war gerade im Gang, und jedes Mal, wenn<br />

Deutschland spielte, konnten wir nicht schlafen. Deutschland<br />

spielte oft und war nicht besonders erfolgreich.<br />

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