Bemerkungen zum Fujimori-Urteil des Obersten Gerichtshofs in Peru_____________________________________________________________________________________Der Umstand, dass die jüngste und umfassendste dieser Arbeitenvon einem Griechen stammt, unterstreicht einmal mehrdie internationale Bedeutung der Problematik.IV. Das peruanische Gericht prüft die vier Kriterien, diees in Übereinstimmung mit meiner Lehre als Voraussetzungender Organisationsherrschaft ansieht, nacheinander, indemes sich auch mit kritischen Stimmen in der peruanischen undder ausländischen Literatur auseinandersetzt. Das, was dasGericht zu den ersten drei Merkmalen – Anordnungsgewaltder Hintermänner, Rechtsgelöstheit des Machtapparates undFungibilität des unmittelbar Ausführenden – sagt, verdient imWesentlichen Zustimmung. Diesen Ausführungen ist wenighinzuzufügen. Sie bereichern aber durch manche ergänzendeDarlegung die Diskussion. So unterscheidet das Gericht 15z.B. zwischen negativer und positiver Fungibilität: Die negativeFungibilität, die „dem klassischen Konzept“ Roxins entspreche,bedeute, dass der Ausfall eines für die Vollstreckungdes Befehls ursprünglich Vorgesehenen dessen Durchsetzungnicht hindere, während die positive Fungibilität das Vorhandenseinmehrerer potentieller Täter und die Möglichkeit zurAuswahl des Bestgeeigneten ergebe.Als umstritten behandelt das Gericht die vierte Voraussetzung,die ich als „wesentlich erhöhte Tatbereitschaft derAusführenden“ 16 unter teilweisem Anschluss an Fr.-Chr.Schroeder, 17 Manfred Heinrich 18 und die Dissertationen vonSchlösser und Urban 19 in den letzten Jahren den ursprünglichendrei Kriterien hinzugefügt habe. Das Gericht hebt dieseBesonderheit eigens hervor: 20 „Die drei bisher untersuchtenVoraussetzungen: Befehlsgewalt, Abkehr vom Recht undFungibilität, bildeten lange Zeit die drei Grundpfeiler, auf dieRoxin seine Lehre von der mittelbaren Täterschaft in organisatorischenMachtapparaten stützte. Wie bereits jedoch zuvorerwähnt wurde, hat dieser Autor in seinen letzten Untersuchungendie Aufnahme und Berücksichtigung einer viertenVoraussetzung, der sogenannten erheblich erhöhten Tatgeneigtheitdes Tatvollstreckers, in die Betrachtung einbezogen.“Das Gericht betont, es sei bisher über diese Voraussetzungkeine Einigkeit erreicht worden, erkennt sie aber dochan, indem es betont, 21 „dass der Vollstrecker, der die Straftataus einer hierarchischen Machtstruktur staatlicher Art oderschaft, 2004; Urban, Mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft,2004; Morozinis, Dogmatik der Organisationsdelikte– eine kritische Darstellung der täterschaftlichenZurechnungslehre in legalen und illegalen Organisationsstrukturenaus strafrechtsdogmatischer und rechtstheoretischerSicht usw., 2009. Die letztgenannte, von Schünemannbetreute Dissertation befindet sich bei Abfassung dieses Aufsatzesnoch im Promotionsverfahren.15 Wie Fn. 5, Rn. 738; <strong>ZIS</strong> 2009, 622 (645 f.).16 Roxin, ZStrR 125 (2007), 1 (15).17 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 150.18Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft,2002, S. 271 ff., 273.19 Wie Fn. 14.20 Wie Fn. 5, Rn. 740; <strong>ZIS</strong> 2009, 622 (648).21 Wie Fn. 5 Rn. 741; <strong>ZIS</strong> 2009, 622 (649).Ursprungs, aber losgelöst vom Recht, begeht, mit einer anderenMotivation handelt als jener Täter, der an der Begehungirgendeiner Straftat beteiligt ist“. Es dürften nur „die Fungibilitätund die erhöhte Tatbereitschaft nicht als sich gegenseitigausschließende oder gar inkompatible Voraussetzungen angesehenwerden“ 22 .Ich stimmte dem zu, meine aber nach erneuter Überlegung,dass es zwar richtig ist, die „erheblich erhöhte Tatbereitschaftdes Ausführenden“ zur Begründung der mittelbarenTäterschaft im Rahmen organisatorischer Machtapparateheranzuziehen, dass es sich hier aber nicht um eine selbständigeVoraussetzung handelt, sondern dass sie aus den anderenErfordernissen der Organisationsherrschaft abzuleiten ist.Es waren sehr verschiedene und vielfältige Gründe, dieich für die wesentlich erhöhte Tatbereitschaft des Ausführendenim Rahmen deliktischer Organisationen geltend gemachthatte. 23 Es ist zunächst die hierarchische Organisation, dieschon als solche eine Anpassungstendenz hervorzurufengeeignet ist. Es ist sodann die „Anordnungsgewalt“ der Hintermänner,die zwar nicht den Grad einer Nötigung erreicht,sich ihr aber ein Stück weit annähert: Der willige Vollstreckerwird nicht selten im Weigerungsfall den Verlust seinerStellung, die Missachtung seiner Kollegen oder andere sozialeNachteile fürchten und dadurch zu erhöhter Tatbereitschaftgedrängt werden. Weiterhin kann die „Rechtsgelöstheit“ desApparates die Tatbereitschaft erhöhen, indem der Ausführendeseinem Karrierestreben, seinem Geltungsbedürfnis, ideologischerVerblendung oder gar sadistischen oder sonst kriminellenMotiven nachgibt in der Annahme, er werde nichtstrafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Und schließlichkann selbst die Fungibilität des Einzelnen zur Tatbereitschaftführen, indem jemand, der von sich aus solche Tatennie begehen würde, doch mitmacht, weil er sich sagt: „Wennich es nicht mache, tut es sowieso ein anderer.“Es handelt sich also bei der „wesentlich erhöhten Tatbereitschaft“um ein Phänomen, das zwar von den drei „Grundpfeilern“der Organisationsherrschaft – Anordnungsgewalt,Rechtsgelöstheit, Fungibilität – getragen wird, das aber dieBegründung für eine Bejahung der Tatherrschaft des Hintermannesverstärkt. Denn die Herrschaft des Hintermanneshängt von der Sicherheit ab, mit der sie ihre Anordnungdurchsetzen können. Diese aber wächst beträchtlich an, wennsie auf Grund der organisationsspezifischen Bedingungen miteiner erheblich erhöhten Tatbereitschaft des Ausführendenrechnen können.V. Am Ende seiner Ausführungen zur Beteiligungslehregrenzt das Gericht – in weitgehendem Anschluss an Ambos –die Organisationsherrschaft in verdienstvoller Weise von dersog. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht ab. 24Diese beruht nicht auf der Tatherrschaft des Vorgesetzten,sondern darauf, dass er es pflichtwidrig unterlässt, Straftatenseiner Untergebenen zu verhindern. Die strikte Unterscheidungbei den Zurechnungsformen lässt sich, wie das Gerichtzutreffend bemerkt, auch im Rom-Statut für den Internationa-22 Wie Fn. 5, Rn. 739 unter 4.; <strong>ZIS</strong> 2009, 622 (648).23 Zuletzt in ZStrR 125 (2007), 1 (16).24 Wie Fn. 5, § 4 Rn. 742 ff.; <strong>ZIS</strong> 2009, 622 (650 ff.)._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com567
Claus Roxin_____________________________________________________________________________________len Strafgerichtshof von 1998 feststellen. Der schon erwähnteArt. 25 Abs. 3 lit. a des Statuts lässt sich als Anerkennung derOrganisationsherrschaft deuten, während die Vorgesetztenverantwortlichkeitin Art. 28 des Statuts eine selbständige Regelunggefunden hat.Dies bedarf deshalb für den deutschen Leser besondererBetonung, weil der Bundesgerichtshof die Rechtsfigur derOrganisationsherrschaft auch auf Vorgesetzte in Wirtschaftsunternehmenanwendet, die Angestellte zu Straftaten veranlassenoder an deren Begehung nicht hindern. 25 Dabei handeltes sich aber nicht um Fälle der Organisationsherrschaft, sondernum Konstellationen, die der Vorgesetztenverantwortlichkeitim Völkerstrafrecht vergleichbar sind. Man kann sieals „Geschäftsherrenhaftung“ im Sinne einer Verantwortlichkeitfür fremdes Verhalten verstehen und als selbständigeForm täterschaftlicher Zurechnung an die Vorschriften überunmittelbare Täterschaft, Mittäterschaft und mittelbare Täterschaftanschließen. Es gibt dazu schon verschiedene Gesetzesvorschläge,26 u.a. in Art. 13 des Entwurfs eines CorpusJuris zum Schutz der finanziellen Interessen der EuropäischenUnion. Aber mit der Organisationsherrschaft hat dasalles nichts zu tun. Das peruanische Urteil verdient also Anerkennungdafür, dass es auf die Unterschiedlichkeit vonOrganisationsherrschaft und Vorgesetztenverantwortlichkeitdeutlich hingewiesen hat.VI. Die historische Bedeutung der vorliegenden Entscheidung,von der ich anfangs sprach, hat einen politischenund einen strafrechtsdogmatischen Aspekt.Es zeigt in politischer Hinsicht, dass es gelingen kann, dieStraftaten eines gestürzten Diktators in einem rechtsstaatlicheinwandfreien Prozess – unter Verzicht auf die barbarischeTodesstrafe – aufzuarbeiten. Da nicht häufig so verfahrenwird, wird man dem Urteil eine beispielgebende Funktionzusprechen dürfen.Es zeigt aber auch die Fruchtbarkeit einer internationalenStrafrechtsdogmatik, die Rechtsprechung und Wissenschaftdes eigenen Landes umfassend auswertet, aber unter sorgfältigerBerücksichtigung auch der ausländischen Literatur Erkenntnissegewinnt, die über das eigene Land hinaus internationalkonsensfähig sind. Auch in dieser Hinsicht hat dieEntscheidung vorbildhaften Charakter.25 Vgl. dazu nur meine Ausführungen in ZStrR 125 (2007), 1(17 ff.).26 Dazu und zu weiteren Vorschlägen Roxin, ZStrR 125 (2007),1 (21 ff.)._____________________________________________________________________________________568<strong>ZIS</strong> 11/2009