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Inhalt AUFSÄTZE ANHANG - ZIS

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Rolf D. Herzberg_____________________________________________________________________________________Apparat hat trotzdem in furchtbarer Weise funktioniert, indemer Millionen Morde hervorgebracht hat, und nicht einmalder Kommandant eines Vernichtungslagers hätte ihnlahmlegen können. Aber darauf kann es nicht ankommen,wenn wir nach der Mordtäterschaft des obersten Befehlshabersfragen und sie davon abhängig machen, ob er sich desvon ihm gewollten Morderfolges sicher sein konnte. Denndann geht es um den Tod des einzelnen Menschen und nichtum das Weiterarbeiten des Vernichtungsapparats. Zu Rechtwendet Rotsch gegen die Täterschaftsbegründung der „Organisationsherrschaft“ein: „Der grundsätzliche Mangel derKonstruktion liegt darin, dass Roxin die Tatherrschaft […]losgelöst von der konkreten Tat bestimmt.“ 14 Hätte sich etwaRudolf Höß, von 1940 bis 1943 Lagerkommandant in Auschwitz,bemüht, einige oder viele vor der Vergasung zu bewahren,dann wäre ihm das auch gelungen, und der Apparat hätteinsoweit keinen Erfolg gehabt.Hier kommt etwas in den Blick, was mir bislang gänzlichunbeachtet geblieben zu sein scheint. Wer in den Machtapparat-Fällenfür mittelbare Täterschaft ist, stellt sich die Befehlsgebungimmer so vor, als laufe von oben nach unten eineAnweisung durch, die klar definiere, welche Person oderwelche Personen zu vernichten seien. Gerade bei der Planungvon Massenmorden verhält es sich aber anders. Man denkenur an die Bahnrampe in Auschwitz-Birkenau, wo Mengelefast nach Belieben entschied, wer sogleich vergast wurde undwer als Arbeitssklave weiterleben durfte, mit einer kleinenHoffnung auf spätere Befreiung. Die tausendfachen Mordeund Freiheitsberaubungen im Zuge der großen Tschistka von1935 bis 1939 lassen sich wohl so gut wie alle auf weit gefassteBefehle Stalins zurückführen. Aber im Einzelnen gabder Diktator dem NKWD und der Staatsanwaltschaft rechtfreie Hand zu entscheiden, wer durch Verhaftung von der„Säuberung“ erfasst und wer dann sogleich „liquidiert“ odervor Gericht gestellt wurde, wo wiederum in Schau- und Geheimprozessendie Richter – in Grenzen – die Wahl hattenzwischen Todesurteil und Lagerverbannung. Und der einzigeVernichtungsbefehl, den Hitler jemals selbst unterschriebenhat, öffnete den Schlüsselbeteiligten sogar ausdrücklich einenErmessensspielraum. Ich meine den auf einem privatenBriefbogen Hitlers geschriebenen und auf den „1. Sept.1939“ rückdatierten „Euthanasiebefehl“: „Reichsleiter Bouhlerund Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt,die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zuerweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbarKranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandesder Gnadentod gewährt werden kann.“ Die bestimmtenÄrzte waren damit ermächtigt, durch Begutachtung oderAusfüllung von Meldebogen Geisteskranke dem Abtransportund der Tötung auszuliefern (man schätzt die Zahl der Opferauf 80.000). Hier kann man offensichtlich keine individuellenTodeserfolge nennen, deren Eintritt mit dem Anlaufen desVernichtungsapparates „sicher“, „garantiert“, „gewährleistet“gewesen wäre. Jeder einzelne, der bedroht war, hatte eineChance, verschont zu bleiben.IV. „Dieser Ansicht ist jedoch nur zuzustimmen“, wendenJescheck und Weigend gegen die Annahme mittelbarer Täterschaftder Befehlsgeber ein, „wenn die Ausführenden nicht14 Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 (561).selbst als vollverantwortliche Täter betrachtet werden können[…]. Sind sie das aber, so ist der Mann in der Zentrale, geradeweil er die Organisation beherrscht, Mittäter. Die Gemeinsamkeitdes Tatentschlusses wird durch das Bewusstsein derLeitenden und Ausführenden hergestellt, dass eine bestimmteTat oder mehrere Taten gleicher Art entsprechend den Weisungender Leitung vorgenommen werden sollen“. 15 Undebenso kritisch meint Otto zur Frage der Organisationsherrschaft,der eigenverantwortlich die Verbrechensbefehle Ausführendewerde nicht beherrscht, er mache sich „mit seinemVerhalten […] vielmehr den verbrecherischen Plan konkludentzu eigen. Unmittelbar Handelnde und Machthaber sinddaher als Mittäter anzusehen“. 16Auch dieser Auffassung ist zuzugeben, dass man das Gesetz(§ 25 Abs. 2 StGB) in seiner Unbestimmtheit so verstehenkann. Aber wie die Verfechter der mittelbaren Täterschaftdas Verantwortlichkeitskriterium, so setzen die zitiertenAutoren das außer Kraft, was uns sonst überall dient, dieMittäterschaft einzugrenzen. Sie lassen für die Gemeinschaftlichkeitdas „Bewusstsein“ aller Beteiligten genügen, dassbestimmte Taten weisungsgemäß vorgenommen werden sollen(Jescheck/Weigend) bzw. dass der Machthaber plant und derunmittelbar Handelnde sich „den verbrecherischen Plan konkludentzu eigen“ macht (Otto). Das kann man im Grundevon jeder erfolgreichen Anstiftung des Alltags sagen, z.B.wenn die Ehefrau im SB-Markt gehorsam stiehlt, was zustehlen ihr Mann sie angewiesen hat, oder jemand seine Frauumbringt, weil seine Geliebte es gefordert und ihm das Giftverschafft hat. Die jeweils Beteiligten sind sich einig, dasseine bestimmte Tat weisungsgemäß vorgenommen werdensoll, und mit dieser Tat macht sich die ausführende Personden deliktischen Plan der auffordernden Person konkludentzu Eigen. Will man sich nicht in Widersprüche verstricken,dann darf man die dem Wortsinn nächstliegende und sonstimmer praktizierte Deutung der Mittäterschaftsvorschriftnicht punktuell gegen eine extensive auswechseln, nur umbestimmte Anstifter als Täter bestrafen zu können.V. Es läuft aufs Gleiche hinaus und hat keine praktischeBedeutung, aber Fujimori hätte richtigerweise wegen Anstiftungzu den Morden, die er veranlasst hat, verurteilt werdenmüssen. 17 Als Täter hat er sie nicht begangen, sein Veranlassenerfüllt weder die Voraussetzungen der mittelbaren nochdie der Mittäterschaft.15 Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl.1996, S. 670 (§ 62 II. 8.).16 Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl.2004, § 21 Rn. 92. Für Mittäterschaft in den fraglichen Fällenferner Jakobs, NStZ 1995, 27; Weber, in: Baumann/ders./Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 146 f.17 Allgemein für die Befehlsgeber in Machtapparaten ebensoKöhler, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1997, S. 510; Noltenius,Kriterien der Abgrenzung von Anstiftung und mittelbarerTäterschaft, 2003, S. 319 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriffund fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 87 ff.; Rotsch,ZStW 112 (2000), 518 ff.; ders., NStZ 2005, 13 ff.; Schild, in:Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar,Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2005, Bd. 1, § 25 Rn. 59 f.; Zaczyk,GA 2006, 411 ff._____________________________________________________________________________________580<strong>ZIS</strong> 11/2009

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