TEIL III (PARTE TERCERA)*KAPITEL IIDIE MITTELBARE TÄTERSCHAFT KRAFT WILLENSHERRSCHAFT IN ORGANISATORISCHENMACHTAPPARATEN§ 1. Konzept. Funktion. Formen mittelbarer Täterschaft718. VORBEMERKUNGEN. Die Anklage der Staatsanwaltschaft schließt im letztenAbsatz des siebten Paragraphen 1041 – Seite achtunddreißig – wie folgt: „... dieHandlungen der Mitglieder des Kommando Colina (Fall Barrios Altos und La Cantuta)und des Militärgeheimdienstes [Servicio de Inteligencia del Ejército-SIE] (FallSótanos SIE) sind dem Expräsidenten der Republik, Alberto Fujimori, der von der Spitzedes Staatsapparats die Befehle zur Ausführung der schwerwiegenden verfahrensgegenständlichenTaten gab, aufgrund mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaftzuzurechnen“.Die Staatsanwaltschaft führte aus, dass das Strafgesetzbuch bezüglich derAusführung einer Straftat drei Begehungsformen im Hinblick auf den Täter unterscheidet;dass eine davon – die sogenannte mittelbare Täterschaft – vorliegt, wenndie Straftat mittels einer anderen Person begangen wird; dass eine Form mittelbarerTäterschaft gegeben ist, wenn sich der Hintermann der Personen, die sich in einemorganisatorischen Machtapparat anderen gegenüber in einem Unterordnungsverhältnisbefinden, bedient, sodass auf diese Weise jener die objektive Tatherrschaftbehält – mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft –; dass letztere aufzwei wesentlichen Merkmalen beruht: der Existenz eines organisatorischen Machtapparatsund der Bereitschaft der Vollstrecker; dass der Angeklagte einen vertikalenEinfluss auf die ihm zur Last gelegten Straftaten hatte – die tatsächlich von Angehörigendes Militärgeheimdienstes aus dem Umfeld der Gruppe Colina und des* Übersetzung von Prof. Dr. Kai Ambos und Florian Huber, Göttingen. Der Eleganz wurde im Zweifel Vorrangvor einer allzu wörtlichen Übersetzung eingeräumt. Die Zitate deutscher Autoren wurden denOriginalquellen entnommen (soweit diese auffindbar waren), um Verzerrungen durch eine Rückübersetzungzu vermeiden. In eckigen Klammern stehende Anmerkungen im Haupttext stammen von denÜbersetzern.1041 Der Paragraph 7 führt den Titel: „Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Ex-Präsidenten der Republik,Alberto Fujimori Fujimori aufgrund mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft“ [S. 20-38 derAnklage der Staatsanwaltschaft]._____________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com623
SIE ausgeführt wurden –, in denen es eine Arbeitsteilung und eine hierarchischeOrdnung in der Organisation gab, an deren Spitze sich [der Angeklagte] befand.Infolgedessen, und nach Feststellung des Sachverhalts, den dieses Gerichtfür bewiesen erachtet, muss nun, unter Würdigung des Akkusationsgrundsatzes undin Übereinstimmung mit dem Prozessgegenstand und der mündlichen Verhandlung,die strafrechtliche Art der Beteiligung von Alberto Fujimori Fujimori bezüglich derfestgestellten Tatumstände bestimmt werden, wobei der Anklagevorwurf und dieVerteidigungseinwände dagegen berücksichtigt werden müssen. Das Relevanteund zugleich Problematische dieser Perspektive liegt darin, das unser Strafgesetzbuchnicht einem Einheitstäterbegriff, sondern dem Differenzierungsmodell folgt. 1042Dies macht es erforderlich zu bestimmen, ob das dem Angeklagten zurechenbarestrafbare Verhalten von täterschaftlich-primärer oder sekundärer Art war, und welchegenaue Beteiligungsform innerhalb dieser Art rechtlich einschlägig ist – derStaatsanwalt vertritt die Ansicht, dass jener als mittelbarer Täter handelte, was vonder Verteidigung zurückgewiesen wird –. Die [hier vertretene] dogmatische Konzeptionist die der mittelbaren Täterschaft als eine Form der Täterschaft. Die Begründungdieser Ansicht soll in diesem Kapitel des Urteils geliefert werden.719° DIE MITTELBARE TÄTERSCHAFT. Man bezeichnet als mittelbare Täterschaft jeneFälle, in denen die Straftat vom Täter oder Hintermann mittels eines physischenTatmittlers oder einer Zwischenperson begangen wird. Für letztere hat die Fachliteraturverschiedene Bezeichnungen verwendet, wie Vordermann, unmittelbarer Täter,direkter Täter oder einfach Täter. Allerdings ist auch die Bezeichnung „Instrument“1043 anerkannt, obwohl sie von einigen nationalen Autoren wie HURTADOPOZO 1044 und VILLAVICENCIA TERREROS 1045 als missverständlich in Frage gestelltwird.Darum ist mittelbarer Täter jener, der das Handeln einer anderen Personausnutzt oder benutzt, um sein verbrecherisches Ziel zu erreichen. Diese Voraussetzungenwaren traditionell an die Ausübung von Zwang über den physischen Tat-1042 Nach VIVES ANTÓN stellt sich eine doppelte Problematik, wenn das Verbrechen die Folge einesgemeinschaftlichen Handelns mehrerer Personen ist: zum einen die der materiellen Beschaffenheit desVerbrechensbeitrags jedes Beteiligten und zum anderen die der Form der Verantwortlichkeit [COBODEL ROSAL, M., M. VIVES ANTÓN, T.S.: Derecho Penal Parte General, 5. Auflage, Verlag Tirant Blanch,Valencia, 1999, Seite 733].1043 Dazu in der nationalen Strafrechtslehre: VILLA STEIN, JAVIER: Derecho Penal. Parte General. DritteAuflage, Verlag Grijley, Lima, 2008 Seite 317 ff. GARCÍA CAVERO, PERCY: Lecciones de Derecho Penal.Parte General, Verlag Grijley, Lima, 2008, Seite 556 ff. URQUIZO OLACHEA, JOSÉ: El Concepto de Autorde los Delitos Comunes en la Dogmática Penal y su Recepción en el Código penal peruano. In:Dogmática Actual de la Autoría y la Participación Criminal, Verlag IDEMSA, Lima, 2007, Seiten 581 –610. BRAMONT – ARIAS TORRES, LUIS MIGUEL: Manual de Derecho Penal. Parte General, Zweite Auflage,Verlag EDDILI, Lima, 2002, Seite 405 ff.1044 HURTADO POZO, JOSÉ: Manual de Derecho Penal. Parte General I. Dritte Auflage. Verlag Grijley,Lima, 2005, Seiten 864 und 865.1045 VILLAVICENCIO TERREROS, FELIPE: Derecho Penal. Parte General. Erste Auflage, Verlag Grijley, Lima,2006, Seite 471._____________________________________________________________________________________624<strong>ZIS</strong> 11/2009