62 Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V paradies“ aufwuchsen. Auch für meine Schwester und mich waren dieser Garten am Fluss und die freie Natur hinter dem Gartenzaun ein wahres Kinderparadies. Mein Freund Alexander Schmidt, Sohn des Oberstudiendirektors, der gegenüber der Straße im Realgymnasium wohnte, war mehr bei uns als zu Hause. Als ich 11 Jahre war ,nahm ich Klavierunterricht bei Frau Kerutt, die mir nach einer besonderen Methode zuerst das Auswendigspielen beibrachte, und erst später wurde ich in die Kunst des Klavierspiels nach Noten eingeführt. Jede Melodie, die ich singen konnte ,spielte ich nun in jeder Tonart und sogar mit Begleitung einfach nach dem Gehör. Da meine Eltern mit der Familie Bogdan befreundet waren - Besitzer des Möbelhauses und des Kinos - standen immer Logenplätze für uns frei zur Verfügung, so gingen wir besonders am Sonntagnachmittag zu den Kinoveranstaltungen. Zu Hause angekommen, spielte ich dann die schönsten Filmmelodien auf dem Klavier nach Gehör. Meine Eltern waren mit dem katholischen Pfarrer Nadolski eng befreundet. Er wohnte mit seiner Schwester neben dem katholischen Gotteshaus in der Graf-Yorck-Straße. Wir waren dort oft zu Besuch. Sehr bewunderte ich seine Fähigkeit, ein Radio selbst zu basteln. Jedes Mal gab es technische Verbesserungen, die er mir vorführte. Als ich eines Tages am Fluss spielte, obgleich meine Tante es verboten hatte - meine Eltern waren zur Zeit verreist - lud er mich zu einer Motorbootsfahrt zum Roschsee ein, wo er angeln wollte. Unterwegs überraschte uns ein Gewitter mit Wolkenbruch. Vollkommen durchnässt, musste ich im Pfarrhaus erst trockene Sachen anziehen. Pfarrer Nadolski benachrichtigte telefonisch meine Tante, die sich schon große Sorgen gemacht hatte. Zu Hause bekam ich von meiner Tante, die mich sonst so lieb hatte, viel Schläge. Wie schnell ist diese selige Kindheit doch vergangen. <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>2002</strong> www.Kreis-Johannisburg.de Am 1. Mai 1934 zogen meine Eltern nach Tilsit, wo ein ganz anderer Abschnitt meines Lebens beginnen sollte. Ich fühlte mich wie aus dem Paradies vertrieben. In den Sommerferien fuhr ich zu meinem Freund Alexander nach Johannisburg, wo wir wie früher umherstreiften und Radausflüge unternahmen, Alexander spielte gern mit Soldaten, und da ich in Tilsit bereits ein „chemisches Labor“ in der Bodenkammer besaß, sollte ich unbedingt ein Nebelpulver herstellen und mitbringen. Am Tage meiner Ankunft mußte das Pulver sofort ausprobiert werden. Die Wirkung war gewaltig: das gesamte Treppenhaus war von dichtem Nebel erfüllt, es stank außerdem stark nach Chlor. Frau Schmidt eilte erschreckt herbei, sagte aber nichts. Offensichtlich respektierte sie mich als Gast des Hauses. Meine Besuche in Johannisburg wiederholten sich noch einige Male, aber in das Paradies meiner Kindheit fand ich nun nicht mehr. Im Laufe der Jahre bin ich an vielen Orten „heimisch“ geworden, aber die eigentliche Heimat ist immer Johannisburg geblieben, die Erinnerung an die Menschen dieser Stadt und die vertraute und liebgewonnene Umgebung meiner glücklichen Kindheit. Vater des Einsenders 1935
Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V Vater Bauer und der Einsender 1925 <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>2002</strong> www.Kreis-Johannisburg.de Mitarbeiterinnen der “<strong>Johannisburger</strong> Zeitung” 1926 (Foto von Martel Nischl) In einem Raum der “Joh. Zeitung”, r. Tante Mia, (Maria Szobek) 1926 63