Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
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144 Monika Schwarz-Friesel<br />
gangener Barbarei betrachtet wird, das nur noch in extremistischen Kreisen<br />
zu finden ist, stellt Antisemitismus ein Problem der Gegenwart dar, das weite<br />
Kreise der Bevölkerung betrifft. Aktueller Hass auf Juden ist keineswegs nur<br />
an den Rändern der Gesellschaft zu finden, sondern zeigt sich auch als ein<br />
Phänomen der (politisch nicht radikalen, ökonomisch gut situierten und gebildeten)<br />
Mitte. 2 Der vorliegende Aufsatz will transparent machen, welche<br />
konzeptuellen Formen der Judenfeindschaft sich aktuell in Deutschland als<br />
Sprache des Hasses artikulieren und welche emotionalen Charakteristika<br />
hierbei dominant sind. Grundlage der Analyse sind empirisch erhobene Daten<br />
(aus) einer (noch in Arbeit befindlichen) qualitativen und quantitativen<br />
Korpusstudie, die anhand von über 10.000 E-Mails und Briefen, die seit 2002<br />
an den Zentralrat der Juden in Deutschland sowie die Israelische Botschaft in<br />
Berlin gesendet wurden, die Charakteristika des aktuellen Verbal-Antisemitismus<br />
kognitionslinguistisch und historisch analysiert.<br />
2. Gewalt durch Sprache: Die Macht destruktiver<br />
Konzeptualisierungen<br />
Kognitionswissenschaftlich betrachtet basiert Antisemitismus auf einer antijüdischen<br />
Konzeptualisierung. Für diese sind kognitiv Stereotype und emotional<br />
negative Gefühle konstitutiv (vgl. Schwarz-Friesel 2007, 327 ff.). Es<br />
handelt sich um ein sozial verankertes und kontinuierlich reproduziertes<br />
Vorurteilssystem, das auf einem konzeptuell geschlossenen Feind- und<br />
Weltbild fußt. Die Sprache spielt bei der Weitergabe und dem Erhalt antisemitischer<br />
Vorurteile eine besondere Rolle: Über den Sprachgebrauch werden<br />
– teils unbewusst und unreflektiert – tradierte Stereotype z. T. über die Jahrhunderte<br />
hinweg transportiert. Dies zeigt sich z. B. bei Phraseologismen vom<br />
jüdischen Wucher oder der jüdischen Hast oder der jüdischen Mauschelei.<br />
Aber auch Syntagmen wie Juden und Deutsche geben durch die spezifische<br />
Aneinanderreihung eine Kontrastierung mit der Auslegungsvariante ‘Juden<br />
sind keine Deutsche’ vor. Es fällt im Vergleich auf, dass es keine Kombinationen<br />
der Art Katholiken und Deutsche oder Protestanten und Deutsche<br />
gibt. Durch einfache grammatische Konstruktionen bleibt somit auch im<br />
aktuellen Sprachgebrauch eine Ab- und Ausgrenzung von Juden manifest<br />
2<br />
Vgl. hierzu die Analysen in Schwarz-Friesel/Friesel/Reinharz (2010) und<br />
Schwarz-Friesel/Reinharz (im Druck). Zum Begriff der „Mitte“ s. auch Zick/<br />
Küpper (2006, 115): „Die Mitte ist vielschichtig und mehrdimensional. Bei der<br />
Analyse sozialer Vorurteile erscheint sie primär als politische Position.“