Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
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„Dies ist kein Hassbrief – sondern meine eigene Meinung über Euch!“ 155<br />
Lokalpolitiker wenden sich (zumeist) sprachlich höflich und argumentativ<br />
elaboriert an den ZJD und die IBD, um als besorgte Bürger ihre Meinung im<br />
Namen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit auszudrücken. Sie lehnen Rassismus<br />
und Rechtsextremismus ab und weisen den Verdacht, antisemitisch<br />
eingestellt zu sein, von sich. Entsprechend beginnen oder enden viele der<br />
Texte mit Beteuerungen wie: Ich bin wirklich kein Judenhasser! oder Ich<br />
habe nichts gegen Juden, aber … In der Regel weisen die Texte dieser „Anti-<br />
Antisemiten“ aber genau die Stereotype und Ressentiments auf, die sich in<br />
den Schreiben von Extremisten finden (vgl. hierzu Schwarz-Friesel 2009 und<br />
2010). Aufgrund der Tabuisierung von öffentlich artikuliertem Antisemitismus<br />
seit 1945 schützt das ostentative Leugnen der judenfeindlichen Einstellung<br />
einerseits vor Sanktionen und hält andererseits das (im Spiegel der aufgeklärten,<br />
humanistischen Gesellschaft aufgebaute) positive Selbstkonzept<br />
des Textproduzenten aufrecht (das unter dem Zugeständnis, antisemitisch zu<br />
sein, leiden würde).<br />
Benutzt wird daher auch stets eine Form der Umweg-Kommunikation:<br />
Entweder die antisemitischen Inhalte und Gefühle werden implizit verschlüsselt,<br />
also über Implikaturen vermittelt oder aber Kritik und Feindseligkeit<br />
beziehen sich nicht expressis verbis auf Juden, sondern werden über die Referenzfläche<br />
Israel kodiert. Referiert wird in den Äußerungen auf Israel, 20<br />
tatsächlich gemeint sind alle Juden bzw. die deutschen Juden oder der Zentralrat<br />
der Juden in Deutschland. In den Schreiben an den Zentralrat werden<br />
besonders oft mittels rhetorischer Fragen, die sich auf israelische Aktionen<br />
beziehen, qua Implikatur Juden als dumme und kriegsbesessene Wesen kategorisiert<br />
und entwertet (wie in der folgenden Mail):<br />
(11) Gibt es tatsächlich innerhalb der Gemeinschaft der Juden in Deutschland<br />
keine weisen, selbstkritischen und menschlich gerecht empfindenden Mitmenschen?<br />
(ZJD_Gaza09_Cri_001)<br />
Die Verfasser schreiben teilweise sehr lange, sich über mehrere Seiten erstreckende<br />
Texte, in denen sie ausführlich und geradezu obsessiv begründen,<br />
warum Israel ein mörderischer Schurkenstaat und der Zentralrat der Juden<br />
eine moralisch zu kritisierende Institution sei, die es verdiene, von anständigen<br />
Menschen verachtet zu werden. Implizit ist somit auch in diesen Texten<br />
die Kontrastierung von Wir-Gruppe und Ihr-Gruppe konzeptuell die Basis<br />
für die Entwertung, die lediglich formal weniger radikal artikuliert wird:<br />
20<br />
Anti-Israelismus, als eine Variante des Antisemitismus, hat mit legitimer Israel-<br />
Kritik nichts gemeinsam. Zur Abgrenzung vgl. Schwarz-Friesel/Friesel/Reinharz<br />
(2010a, 5 ff.).