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Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik

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„Dies ist kein Hassbrief – sondern meine eigene Meinung über Euch!“ 157<br />

chen sozialen Diskurses 21 und können so zum einen den alltäglichen Sprachgebrauch<br />

affizieren, zum anderen Einfluss auf das kollektive Bewusstsein der<br />

Gesellschaft nehmen.<br />

Bei der Verurteilung israelischer Aktivitäten kommt eine sehr eingeengte,<br />

einseitige Perspektive zum Ausdruck, die Fakten ausblendet und allein Israel<br />

Schuld 22 und moralische Verkommenheit zuspricht. Als angeblich (mit)verantwortliche<br />

Instanz werden die Vorwürfe (stets als Zeichen von Betroffenheit<br />

und Sorge verbalisiert) auch an den Zentralrat der Juden gerichtet:<br />

(18) Sehr geehrte Damen und Herren, Ich bin sehr enttäuscht und empört […]<br />

Israel führte […] einen brutalen Krieg, […] gegen die hilflose Zivilbevölkerung<br />

[…] Dieser Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, der nun<br />

schon ca. 60 Jahre andauert, muss endlich gestoppt werden […] Diese Spirale<br />

von Gewalt – Ungerechtigkeit – Hass muss beendet werden, sonst wird es<br />

niemals Frieden geben. (ZJD_Gaza09_Wil_001)<br />

Anders als in den affektiven Hass-Schreiben von Extremisten tauchen sehr<br />

selten persönliche Verb-Konstruktionen auf wie ich hasse …/wir hassen …,<br />

stattdessen überwiegen substantivische Formen mit semantisch entpersonalisierten<br />

Zuschreibungen (Hass entsteht durch …, der Hass auf Israel …).<br />

Wenn das Lexem Hass benutzt wird, erscheint es also nie in der Selbstzuschreibung,<br />

sondern ausschließlich in der Fremdzuschreibung (wobei gleichzeitig<br />

kausal begründet wird, woher der Hass kommt):<br />

(19) Israel hat wirklich alles getan, den Hass gegen sich nicht nur wachzuhalten,<br />

sondern noch zu schüren. (ZJD_Gaza09_ano_001)<br />

Die Produzenten vermeiden es, sich als Hassende zu deklarieren und erhalten<br />

somit ihr Selbstbild von moralisch integeren und emotional stabilen Menschen<br />

aufrecht. Gleichzeitig kommt in vielen Texten eine starke emotionale<br />

Abwehrhaltung gegenüber der Erinnerung an den Holocaust zum Ausdruck:<br />

Es gibt kein Verständnis 23 für das Bedürfnis, die Erinnerung wachzuhalten.<br />

21<br />

22<br />

23<br />

Daher lassen sich viele der Argumente und Strategien, die im Korpus der Briefe<br />

und E-Mails zu konstatieren sind, auch im öffentlichen (massenmedialen)<br />

Kommunikationsraum beobachten (s. Broder 2005, Schwarz-Friesel 2009).<br />

Viele Texte sind dabei vage und informationell unterspezifiziert gehalten: So<br />

wird z. B. in (18) kein Agens für den Teufelskreis und die Spirale der Gewalt<br />

genannt, aber für den Leser ist aufgrund der vorherigen Schuldzuschreibungen<br />

sowie des Zeitverweises (der sich auf die Staatsgründung Israels bezieht) zu<br />

erschließen, dass allein die Israelis verantwortlich für Krieg und Leid sind.<br />

Mangel an Empathie und Gefühlskälte gegenüber dem Hassobjekt, die charakteristisch<br />

für die <strong>Hassrede</strong> sind, treten in der rationalen Manifestation<br />

entsprechend gemäßigt transformiert auf.

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