Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
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278 Doris Unger<br />
außerdem das praktische Problem, dass eine inhaltliche Regulierung immer<br />
darauf angewiesen ist, dass in jedem Einzelfall gerichtlich beurteilt werden<br />
muss, ob eine Äußerung tatsächlich von der Regulierung erfasst wird, also<br />
einen verbotenen Inhalt enthält. 28<br />
Um die Möglichkeiten moralistischer Zensur zu reduzieren, wird im USamerikanischen<br />
Recht zwischen inhaltsbasierten und inhaltsneutralen Regulierungen<br />
der Meinungsfreiheit unterschieden (vgl. Scanlon 2003, 164-<br />
168). 29 Eine Regulierung, die sich darauf bezieht, dass eine Gruppe herabgewürdigt<br />
wird, ist nicht inhaltsneutral: „Such rules rest on the view that<br />
racism, sexism, and homophobia are morally wrong“ (Altman 1993, 304). 30<br />
Bezieht sich die Regulierung von hate speech allein auf den inhaltlichen<br />
Aspekt einer Aussage, ohne zum Beispiel eventuelle Folgen mit einzubeziehen,<br />
dann kann – so diese Position – das Verbot nur damit begründet werden,<br />
dass eine solche Aussage unmoralisch ist. Dies wird von Befürwortern umfangreicher<br />
Verbote von hate speech nicht bestritten:<br />
What matters is its content, what it says about an individual or a group, not its<br />
likely immediate consequences, and our reasons for banning it need not be<br />
tied to the latter. (Parekh 2006a, 214)<br />
Die Angst vor parteilichen Regulierungen muss ernst genommen werden,<br />
aber es ist wichtig festzuhalten, dass es sich im Falle von hate speech nicht<br />
um Aussagen darüber handelt, wie der Einzelne ein gutes Leben führt oder<br />
28<br />
29<br />
30<br />
lichung eines solchen Inhalts zu gesteigerter Intoleranz gegenüber den Bevölkerungsgruppen<br />
beiträgt, über die geschrieben wird.<br />
Diese Problematik wird auch bei der rechtlichen Beurteilung von Beleidigungsfällen<br />
offensichtlich. Wir sehen, wie schwierig es ist, in der Praxis über Beleidigungsfälle<br />
sinnvolle Entscheidungen zu treffen.<br />
Als Beispiel für eine inhaltsneutrale Regulierung kann zum Beispiel die Ruhestörung<br />
gelten. Hier wird nicht die Äußerung bestimmter Inhalte verboten,<br />
sondern ihre laute Verkündung nachts in einem Wohnviertel. Eine weitere<br />
inhaltsneutrale Regulierung würde eine Aussage nur dann beschränken, wenn<br />
man davon ausgehen kann, dass sie bestimmte Folgen nach sich zieht (s. u.). Eine<br />
inhaltsbasierte Regulierung kann zum Beispiel ein Thema wie Abtreibung<br />
verbieten (content-regulation) oder eine bestimmte Position zu einem Thema<br />
(viewpoint-regulation), wie etwa, dass Abtreibung Mord ist. Zur Diskussion, ob<br />
inhaltsbasierte Regulierungen wirklich schädlicher für die öffentliche Diskussion<br />
und die persönliche Autonomie sind als inhaltsneutrale Regulierungen, siehe<br />
Scanlon (2003).<br />
Zur Position, dass Regulierungen von hate speech die Normen einer Gesellschaft<br />
widerspiegeln, anstatt neutral zu sein, siehe Post (2009). Für die generelle<br />
Diskussion um die Möglichkeit einer neutralen staatlichen Ordnung siehe Taylor<br />
(1992).