Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
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Der <strong>Hate</strong> <strong>Speech</strong>-Diskurs als <strong>Hate</strong> <strong>Speech</strong> 29<br />
verstehe diese Sprachhandlungen hingegen als stark normierende Äußerungsformationen<br />
(vgl. Hornscheidt 2006, 74f.), die sich gerade durch ihre<br />
weitgehende anscheinende Unhinterfragbarkeit und essentielle Notwendigkeit<br />
für „gelingende“ Kommunikation auszeichnen. Die Frage, für wen konkret,<br />
bezogen auf Zugangs- und Ausdrucksmöglichkeiten, diese normierenden<br />
Äußerungen für eine sog. ‚gelingende‘ Kommunikation sorgen (können),<br />
wird dabei in der Regel nicht gestellt, sondern als selbstverständlich und<br />
‚allgemeinmenschlich‘ vorausgesetzt. In den auf diese Weise präsupponierten<br />
universalisierten Subjektvorstellungen liegen, so eine These dieses<br />
Artikels, selbst wiederum wichtige Grundlagen für strukturelle Diskriminierungen,<br />
die sich so auch gleichzeitig re_produzieren: Was ist, wenn eine<br />
Person sich gar nicht angesprochen, gemeint, appelliert fühlt durch die offenbar<br />
zur Verfügung stehenden Formen innerhalb einer Sprachgemeinschaft,<br />
ohne dies aber selbst benennen zu können? Ist dies ein individuelles<br />
Problem oder könnte hier eine Dimension struktureller Diskriminierung<br />
wirksam sein, die über die gängigen Vorstellungen von <strong>Hate</strong> <strong>Speech</strong> als konkrete<br />
explizite Benennungen hinausgeht? 5 Was ist, wenn das, was unter<br />
‚Sprache‘ prototypisch und konventionalisiert verstanden wird – und damit<br />
auch in den Diskursen zu <strong>Hate</strong> <strong>Speech</strong> –, zu Ausschlüssen führt für Personen,<br />
die keine Schrift- und Lautsprache benutzen, wenn eine Person sich nicht mit<br />
Lautsprache angesprochen fühlt, da sie beispielsweise gar keine Lautsprache<br />
verwendet? Kann sie dann nicht von <strong>Hate</strong> <strong>Speech</strong> beTroffen 6 sein, geTroffen<br />
5<br />
6<br />
vgl. auch Hornscheidt 2012 für eine ausführlichere Darstellung. Durch diese<br />
Form des Unterstrichs, der durch die personale Appellationsform wandert, wird<br />
Zweigeschlechtlichkeit als Norm infrage gestellt und gleichzeitig kein<br />
festverorteter oder klar lokalisierbarer Bruch schriftsprachlich umgesetzt.<br />
Unterstriche in anderen Wörtern als personalen Appellationsformen signalisieren<br />
mögliche Brüche und Leerstellen in Vorstellungen zu Konzepten.<br />
Diese Frage erscheint mir nur sehr schwierig formulierbar: Wie kann etwas<br />
gefühlt, ausgedrückt, benannt, wahrgenommen werden, was jenseits der<br />
hegemonial zur Verfügung gestellten, realisierten und re_produzierten sprachlich<br />
konstruierten Konzeptualisierungen liegt? Kann es mehr sein als eine vage Idee,<br />
ein Unbehagen, ein Unwohlsein? Ist es nicht erst posthoc als ein solches<br />
Unbehagen benennbar in dem Ringen um Benennungsformen und damit<br />
Greifbarkeiten, Möglichkeiten zur wenn auch nur punktuellen Distanzierung? Es<br />
ist für mich nicht zufällig, dass sich gerade in literarischen Produktionen von<br />
Diskriminierten genau diese Thematisierungen sowie ein Ringen um<br />
Sprechfähigkeiten zeigt. Mit diesem Phänomen ist zugleich auch ein Paradoxon<br />
des von Spivak formulierten Kollektivs „Subalterne“ angesprochen.<br />
Die Großschreibung im Wortinneren soll Anstoß bieten tradierte Bedeutungsvorstellungen<br />
neu zu überdenken beim Lesen. Sie ist ein strategisches Mittel der<br />
Denormalisierung von Äußerungen.