Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
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Die Regulierung von <strong>Hassrede</strong> in liberalen Demokratien<br />
Jürgen Sirsch ∗<br />
In Demokratien gilt Redefreiheit nicht zu Unrecht als eine schützenswerte<br />
Grundfreiheit. Der Schutz freier Rede stellt eine notwendige Bedingung für<br />
das Funktionieren demokratischer Meinungsbildungsprozesse dar (Tsesis<br />
2009, 497). Insbesondere Einschränkungen der Redefreiheit, die auf bestimmte<br />
Inhalte abzielen, werden als problematisch angesehen (Cohen 1993;<br />
Scanlon 1972). Dennoch handelt es sich bei der Redefreiheit nicht um das<br />
einzige schützenswerte Gut in einer demokratischen Gesellschaft. Die – zumindest<br />
formale – Gleichheit der Bürger ist ein ebenso essentieller demokratischer<br />
Grundwert (Rawls 2001, 190; Dahl 1998).<br />
<strong>Hassrede</strong> ist eine Form von Rede, die inhaltlich demokratischen Grundwerten<br />
widerspricht und durch Einschüchterung – und der evtl. hieraus resultierenden<br />
Benachteiligung bestimmter Personengruppen – zu einer Unterminierung<br />
von Gleichheit und (positiver) Freiheit der Bürger führen kann<br />
(Waldron 2009, 1623-1624; Delgado/Stefancic 2004). Sie wird als ein Vorbote<br />
antidemokratischer Entwicklungen und als eine mögliche Ursache von<br />
Verfolgung und Völkermord angesehen (Baker 2009, 146ff). Häufig werden<br />
inhaltliche Einschränkungen der Redefreiheit – mit Verweis auf diese Gefährdungen<br />
der Demokratie durch den Missbrauch ebendieser Grundfreiheit<br />
– unter dem Stichwort wehrhafte Demokratie begründet (Loewenstein 1937).<br />
Daher besteht weder in der akademischen Debatte liberal-demokratisch gesinnter<br />
politischer Philosophen Einigkeit bezüglich des normativen Status<br />
von Einschränkungen von <strong>Hassrede</strong>, noch gibt es eine einheitliche Praxis in<br />
verschiedenen als liberal geltenden Demokratien. 1<br />
Ziel dieses Beitrages ist es, Kriterien für valide Begründungen eines Verbots<br />
von <strong>Hassrede</strong> in liberalen Demokratien zu erarbeiten. Dabei sollen<br />
praktisch-technische 2 Aspekte des Verbots von <strong>Hassrede</strong> weitgehend ausge-<br />
∗<br />
1<br />
2<br />
Für hilfreiche Anmerkungen und Unterstützung danke ich Michael Antpöhler,<br />
Karl Marker, Jörg Meibauer, Matthis Mohs, Barbara Müller, Annette Schmitt,<br />
Doris Unger, Silvia Welsch und Ruth Zimmerling.<br />
Für die Diskussion siehe z. B. Weinstein/Hare 2009; Slagle 2009, 248; Tate<br />
2008; Parekh 2006, 213-215; Cohen 1993, 209; Ma 1995, 695.<br />
Es ist sinnvoll, bei der Behandlung praktischer Fragen zwischen der Bestimmung<br />
von Zielen und Mitteln zur Zielerreichung analytisch zu trennen (Zimmerling<br />
1996, 64). Darüber hinaus ist es angebracht, zunächst erreichbare Ziele in Form