Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
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Die Regulierung von <strong>Hassrede</strong> in liberalen Demokratien 175<br />
1) Vernünftige Personen betrachten andere Personen als prinzipiell<br />
gleichgestellt und sind bereit, mit ihnen unter fairen Bedingungen zu<br />
kooperieren.<br />
2) Vernünftige Personen akzeptieren die burdens of judgement. (Rawls<br />
2005, 488)<br />
Mit burdens of judgement sind die Ursachen bzw. Bedingungen gemeint, die<br />
einen Konsens vernünftiger Personen bezüglich fundamentaler moralischer<br />
und religiöser Vorstellungen verhindern (Rawls 2005, 55-56). Unter anderem<br />
nennt Rawls hier die Komplexität moralischer Fragen und die Prägung moralischer<br />
Urteile durch persönliche Lebenserfahrung, 12 die einen solchen<br />
Konsens nahezu unmöglich machen (siehe Rawls 2005, 56-58).<br />
Die Frage ist nun, ob inhaltliche Einschränkungen von <strong>Hassrede</strong> nach dieser<br />
Vorstellung legitim sind, d. h. ob vernünftige Personen einem solchen<br />
Verbot zustimmen könnten. Vernünftige Personen müssen vernünftige moralische<br />
und religiöse Vorstellungen tolerieren, auch wenn sie diese auf der<br />
Basis ihrer eigenen Werte und Vorstellungen ablehnen (Rawls 2005, 60-61,<br />
138). Das Toleranzgebot ergibt sich aus den burdens of judgement und der<br />
Anerkennung anderer Bürger als Freie und Gleiche. Das Gebot der Toleranz<br />
erstreckt sich jedoch nicht auf „unvernünftige“ religiöse und moralische<br />
Vorstellungen 13 (Rawls 2005, 64; Farrelly 1999). Anhänger solcher Lehren<br />
beachten nicht die burdens of judgement und/oder akzeptieren andere Bürger<br />
nicht als freie, gleiche, vernünftige und rationale Personen (Rawls 2005, 196;<br />
Farrelly 1999, 22-23). Unvernünftige Vorstellungen müssen deshalb in politischen<br />
Fragen nicht berücksichtigt werden (Farrelly 1999, 22-23): „In fra-<br />
12<br />
13<br />
Brian Barry (1995, 165-173) argumentiert für eine ähnliche Position auf der Basis<br />
eines explizit philosophisch-skeptischen Arguments.<br />
Es ist unklar, ob Rawls dem zustimmen würde: An manchen Stellen spricht er<br />
davon, dass unvernünftige Doktrinen eingedämmt werden müssten, ohne jedoch<br />
legitime Maßnahmen zu spezifizieren (siehe Rawls 2005, 64). An anderen Stellen<br />
betont er, dass Maßnahmen, welche die Verbreitung intoleranter und damit<br />
unvernünftiger moralischer und religiöser Lehren reduzieren sollen, mit Redeund<br />
Gewissensfreiheit kompatibel sein müssen (Rawls 2005, 195). Allerdings ist<br />
nicht zu vermuten, dass die Ausgestaltung dieser Grundfreiheiten derjenigen in<br />
JaF entsprechen muss, da Gesetze, die aus der Perspektive von JaF ungerecht<br />
sind, trotzdem legitim sein können (siehe Rawls 2005, 427 ff.). Wie diese<br />
Anforderungen genau zu verstehen sind, bleibt unklar. Für eine Position, die der<br />
im Text vertretenen weitestgehend entspricht, siehe Farrelly 1999. Rawls geht es<br />
in Political Liberalism auch weniger um explizit normative Fragen politischer<br />
Gerechtigkeit als um die Frage, inwiefern eine liberale politische Ordnung stabil<br />
sein kann (Rawls 2005, xviii).