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Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik

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234 Björn Technau<br />

Im Unterschied zu anderen pejorativen Ausdrücken wie Spasti, deren Verwendung<br />

in dieser Runde unkommentiert bleibt, 2 ist mit dem N-Wort eine<br />

Schwelle übertreten worden, die einer Erklärung bedarf. Dies hängt mit dem<br />

hohen Beleidigungsgrad des Wortes zusammen, mit dessen Tabuisierung in<br />

der Gesellschaft sowie der Tatsache, dass es in der Konversationsgeschichte<br />

der Gruppe dazu bisher keine Gewohnheiten gibt. Das Wort ist vielmehr aus<br />

metasprachlichen Diskussionen und Medien bekannt, aus rassistischen und<br />

hasserfüllten Kontexten. Wohl deshalb entscheidet sich Karla für eine Klarstellung,<br />

sagt aus, dass es „nich so gemeint“ (7) sei und dass man dies doch<br />

wisse. Den Drang zur ausführlichen Sprachreflexion mögen die deutschen<br />

Freunde hier auch aufgrund der Tatsache verspüren, dass es sich um ein englisches<br />

Lehnwort handelt, dessen Bedeutung vor allem in den USA reflektiert<br />

wird, wo es als das einschlägigste Schimpfwort von allen gilt:<br />

Over the years, it has become undoubtedly the best known of the American<br />

language’s many racial insults, evolving into the paradigmatic epithet. (Kennedy<br />

1999, 87)<br />

Die Verwendung von Neger (86, 134) dagegen löst keine vergleichbaren Reflexionen<br />

hervor. Der durch das Wort nigger verursachte Tabubruch wäre in<br />

der Gruppe wohl weniger drastisch, würde er häufiger begangen, denn<br />

Frequenz ist der natürliche Feind von Expressivität: Besonders ausdrucksstark<br />

ist ein Wort nur dann, wenn seine Verwendung einen gewissen Überraschungseffekt<br />

trägt. (Keller/Kirschbaum 2003, 2)<br />

Dass Michael Karla jedoch überhaupt keinen Rassismus unterstellen wollte<br />

und mit seiner Rüge keine Gesichtsbedrohung intendierte, macht er zusätzlich<br />

durch das Erzählen einer Anekdote deutlich: Auch er selbst habe schon<br />

einmal das N-Wort benutzt, und zwar nicht im Kosmos des Freundeskreises<br />

wie Karla, sondern in Anwesenheit schwarzer Personen, die ihm kaum bekannt<br />

waren. Dass der Tabubruch dadurch noch viel stärker wird, zeigt sich<br />

u. a. an Karlas lauter Reaktion (14). Auch Michael ist sich dessen bewusst<br />

und erklärt, dass er damals nicht vorsätzlich zu dem Wort gegriffen habe;<br />

vielmehr sei ihm das „passiert“ (8) und „NICH AUFgefallen“ (15). Ein vor-<br />

2<br />

Die Verwendung des Wortes Spasti empfinden die Gesprächsteilnehmer offensichtlich<br />

nicht als außergewöhnlich. Die Fragebogenuntersuchung von Sties<br />

(2009) zeigt, „dass alle drei Gruppen [Studenten, Schüler und Menschen mit Behinderung]<br />

Spasti gelegentlich als Bezeichnung für Nichtbehinderte wahrnehmen“<br />

(Sties 2009, 80). 68% der befragten Schüler wissen sogar nicht einmal<br />

mehr, was das Wort Spastiker im eigentlichen Sinne bedeutet. Es ist aber „die<br />

einheitliche Meinung der Befragten, dass Spasti kein netter sondern ein böser<br />

Begriff ist“ (Sties 2009, 90).

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