Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
Hassrede/ Hate Speech - Allgemeine Linguistik
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
64 Karl Marker<br />
In der Literatur stößt man nicht selten auf die Behauptung, dass <strong>Hassrede</strong><br />
in einem substanziellen Sinn verletzen könne, weil sie ähnlich einer physischen<br />
Verletzung wirke. 8 Ein Einstieg in diese schwierige Diskussion scheint<br />
mir jedoch weder sinnvoll noch notwendig zu sein – nicht sinnvoll, weil die<br />
Politikwissenschaft zu Fragen dieser Art naturgemäß recht wenig beitragen<br />
kann, nicht notwendig, weil es für die Problemwahrnehmung staatlicher<br />
Akteure zunächst einmal unerheblich ist, ob Angehörige bestimmter Gruppen<br />
durch <strong>Hassrede</strong> tatsächlich verletzt werden. Entscheidend ist vielmehr,<br />
ob sie sich durch <strong>Hassrede</strong> regelmäßig verletzt fühlen (und entsprechend<br />
reagieren). Die Tatsache, dass <strong>Hassrede</strong> von bestimmten Gruppen als (kollektive)<br />
Verletzung erlebt bzw. empfunden wird, kann bereits ausreichen, um<br />
staatliche Akteure – etwa die Regierung oder den Gesetzgeber – zum Handeln<br />
zu motivieren. Denn solche Empfindungen lösen gelegentlich Reaktionen<br />
aus, die im Extremfall dazu führen können, dass demokratische Institutionen<br />
beschädigt werden oder dass die Erfüllung zentraler Staatsaufgaben<br />
beeinträchtigt wird.<br />
Für jeden liberaldemokratischen Staat, dessen Bevölkerung sich durch ein<br />
gewisses Mindestmaß an ethnischer Heterogenität auszeichnet, ist es aus<br />
mindestens zwei Gründen vorteilhaft, rassistische Äußerungen in der Öffentlichkeit<br />
9 zu unterbinden. Zum einen birgt offen gezeigter, also im wahrsten<br />
Sinne des Wortes demonstrativer Rassismus stets das Risiko, den sozialen<br />
Frieden innerhalb der Gesellschaft nachhaltig zu gefährden. Öffentliche<br />
<strong>Hassrede</strong> ist nicht nur in besonderer Weise dazu geeignet, Aggressionen zu<br />
schüren und verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen,<br />
sondern zielt oftmals gerade darauf ab, derartige Reaktionen zu bewirken.<br />
Durch ihr Interesse an der Aufrechterhaltung des inneren Friedens und der<br />
öffentlichen Ordnung besitzen staatliche Akteure einen starken Anreiz, gegen<br />
<strong>Hassrede</strong> vorzugehen, da rassistische Provokationen sich mitunter in<br />
sozialen Unruhen und gewaltsamen Ausschreitungen entladen können. 10<br />
8<br />
9<br />
10<br />
Zu Art und Umfang der Verletzungsmacht von <strong>Hassrede</strong> siehe beispielsweise<br />
Calvert 1997, Leets/Giles 1997 sowie die Beiträge im Sammelband von<br />
Herrmann/Krämer/Kuch 2007.<br />
Mit „Öffentlichkeit“ ist jeder frei zugängliche „Ort“ im wörtlichen oder übertragenen<br />
Sinn gemeint (z. B. auch Massenmedien), der grundsätzlich dazu<br />
geeignet ist, Botschaften an eine (theoretisch) unbegrenzte Zahl von fremden<br />
Personen zu übermitteln, die diesen Ort rein zufällig bzw. nicht einer bestimmten<br />
Botschaft wegen aufsuchen.<br />
Das spätere Fallbeispiel wird zeigen, dass es sich dabei keineswegs um eine rein<br />
theoretische Idee handelt; hier erfolgte die Zensur von <strong>Hassrede</strong> nämlich gerade<br />
als unmittelbare politische Reaktion auf exzessive Straßenschlachten zwischen<br />
verfeindeten Gruppen.