Abhandlungen zur römischen Religion - Bibliothèques de l ...
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22<br />
IV. TEMPESTATES<br />
112 In meiner Miszelle über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Neptunus auf<br />
lateinischen Inschriften 1 ist die Frage nicht beantwortet wor<strong>de</strong>n,<br />
welche gottlichen Machte nach latinischem Volksglauben <strong>de</strong>n<br />
Wellen <strong>de</strong>s Meeres geboten. Auch hier wird die Untersuchung<br />
zeigen, daB <strong>de</strong>r übermachtige EinfluB griechischer <strong>Religion</strong> die<br />
nationale Auffassung verdunkelt hat, ohne sie je ganz zu verdrangen.<br />
AIs die Erretter aus <strong>de</strong>n Gefahren <strong>de</strong>s Meeres erscheinen<br />
in <strong>de</strong>m altesten Zeugnis, <strong>de</strong>r Grabschrift <strong>de</strong>s L. Scipio,<br />
die Tempestates 2 : <strong>de</strong><strong>de</strong>t Tempestatebus ai<strong>de</strong> mereto. - DaB es<br />
die Tempestates selbst sind, welche das <strong>de</strong>n Latinern stets<br />
frem<strong>de</strong> und feindliche Element bezwingen, geht aus <strong>de</strong>n W orten<br />
Ovids hervor. Fast. VI, 193 te quoque, Tempestas, meritam<br />
<strong>de</strong>lubra fatemur, cum paene est Oorsis obruta classl~s aquis, die<br />
selbst in direkter Anlehnung an die Bauinschrift <strong>de</strong>s Tempels<br />
geschrieben sein wer<strong>de</strong>n. Diese V orstellung von <strong>de</strong>n Sturmgottheiten<br />
aIs Herrscherinnen <strong>de</strong>s Meeres wird von <strong>de</strong>r untel'<br />
griechischem EinfluB bereits vertieften Auffassung <strong>de</strong>r Naturgewalt<br />
dahingean<strong>de</strong>rt, daB ein unhestimmtes gottliches Prinzip<br />
aIs Erreger <strong>de</strong>s Sturmes betrachtet wird. So lautet dann das<br />
113 Gebet um glückliche Fahrt auch in <strong>de</strong>r romischen Flotte. Verg.<br />
Aen. III, 527: di maris et terrae tempestatumque potentes f'erte<br />
viam vento f'acilem et spirate sem~ndi.4 Die konkrete Auffassung<br />
1 Ob en S. 19-21. 2 Dessau 3 = CIL. I, 32.<br />
3 Die Tempestates hat <strong>de</strong>r latinische Bauernglaube auch auf <strong>de</strong>m<br />
Festlan<strong>de</strong> verehrt, ohne je<strong>de</strong> Beziehung auf das Meer, C. X, 4846. XIV,<br />
2093. V gl. S. 23 Anm. 5.<br />
4 Abgeschwacht um <strong>de</strong>n charakteristischen Zug bei <strong>de</strong>r Ausfahrt<br />
Scipios Liv. XXIX, 27 divi divaeque, lnat'ia terrasque q1~i coliNs. Auch<br />
dieses Gebet. gehiirt <strong>de</strong>r frei ausmalen<strong>de</strong>n Überlieferung an, wahrscheinlich<br />
<strong>de</strong>m Coelius, und gibt keine Gewahr für die damaIs übliche Formel.<br />
Ganz anachronistisch und zwei wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> Vorstellungen (vgl. S. 24<br />
Note 1).