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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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Persönlichkeiten die Bühne der europäischen Geschichte” betreten haben. “Parteiführer,<br />

Gesetzgeber <strong>und</strong> Tyrannen, religiöse, dann auch philosophische Denker, bildende Künstler, die<br />

ihre Namen auf die Werke setzen, alle durchbrechen die weitgehende Anonymität der früheren<br />

Zeit <strong>und</strong> des Orients.” 48 An diesen Formulierungen ist nicht nur der pauschale Hinweis auf “die<br />

weitgehende Anonymität der früheren Zeit <strong>und</strong> des Orients” problematisch, umstritten <strong>und</strong><br />

geradezu ein Musterbeispiel für die sich aus begrifflicher Unklarheit ergebende Konfusion ist<br />

auch die Verwendung der Begriffe “Individualität” <strong>und</strong> “Persönlichkeit” 49 .<br />

Um diesmal mit den Griechen zu beginnen: Arbogast Schmitt hat in seinen eindringlichen<br />

hermeneutischen Untersuchungen über “Selbständigkeit <strong>und</strong> Abhängigkeit menschlichen<br />

Handelns bei Homer” 50 gezeigt, dass der lange Streit unter den Klassischen Philologen über die<br />

Frage, ob bei Homer schon von “Entscheidungsfreiheit” gesprochen werden könne, größtenteils<br />

darauf beruht, dass der nachdrücklichen Bestreitung einer solchen Entscheidungsfreiheit durch<br />

Snell (<strong>und</strong> viele andere in seinem Gefolge) ein ganz bestimmter, durch die Tradition des<br />

Deutschen Idealismus vermittelter Begriff von Entscheidung zugr<strong>und</strong>elag. Von einer<br />

Entscheidung “im eigentlichen Sinne” kann demnach nur dann gesprochen werden, wenn sie sich<br />

gründet auf das innere reflexive SelbstBewusstsein des Handelnden, der nicht nur die<br />

Entscheidung spontan <strong>und</strong> frei von Rücksichten auf einen äußeren Vorteil trifft, sondern sich<br />

dabei zugleich als letzte, nicht hintergehbare Instanz dieser freien Entscheidungsfindung weiß.<br />

Alles andere Handeln <strong>und</strong> Entscheiden muss nach dieser Definition als lediglich außengesteuert<br />

erscheinen, der Mensch als ein - wie Hermann Fränkel es genannt hat - für das Hineinwirken der<br />

Mächte “offenes Kraftfeld”.<br />

Dieser von Denkern wie Kant, Humboldt oder Hegel entwickelte Begriff der<br />

Entscheidungsfreiheit ist in seiner Radikalität aber erstens nicht auf diese oder jene alltägliche<br />

Lebenssituationen gemünzt, sondern auf diejenigen Fragen, in denen “über die Gr<strong>und</strong>richtung der<br />

menschlichen ‘Existenz’ entschieden wird, in der sich der Mensch einen Sinn- <strong>und</strong><br />

Lebenshorizont überhaupt ‘setzt’”. 51 Zweitens ist er aus der neuzeitlichen<br />

Subjektivitätsphilosophie seit Descartes entnommen <strong>und</strong> daher kaum geeignet, für den Bereich<br />

der Antike differenzierende Aussagen zu erlauben; vielmehr hat das Netz der modernen<br />

48 Snell 4 1975, 56.<br />

49 Es kann in diesem Abschnitt nicht darum gehen, die hochkomplexen Debatten um den Begriff der Individualität<br />

überhaupt sowie seiner Anwendung auf Homer <strong>und</strong> die Lyriker im Einzelnen zu thematisieren, sondern nur darum,<br />

Gr<strong>und</strong>linien des ägyptischen <strong>und</strong> des griechischen Individualitätsverständnisses in gegenseitiger Abgrenzung zu<br />

skizzieren.<br />

50 Schmitt 1990. Ich folge in diesem Abschnitt im Wesentlichen seinen Ergebnissen <strong>und</strong> möchte mit Nachdruck auf<br />

seine sorgfältigen Analysen verweisen. Vgl. auch die Rezension von Bremer 1995.<br />

51 Schmitt 34.

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