2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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vorstellen zu können. Sie hatte innerhalb ihres kulturellen <strong>und</strong> sozialen Systems keine Position<br />
ausdifferenziert, von der aus verschiedene Optionen entwickelt <strong>und</strong> die Frage nach der besten<br />
politischen Ordnung hätte aufgeworfen werden können. Das Legitimitätsproblem stellte sich hier<br />
immer nur in Bezug auf die Person des Herrschers, etwa im Falle von Usurpatoren oder von<br />
Frauen, aber nie in Bezug auf das System der pharaonischen Monarchie.” 169 Denn der Staat - für<br />
den es bezeichnenderweise in der ägyptischen Sprache ebensowenig ein eigenes Wort gibt wie<br />
für die Gesellschaft - wird repräsentiert durch den König, der als gotthaltiger Herrscher auf Erden<br />
rituell die Rolle Gottes übernimmt, so dass alle Beamten <strong>und</strong> Priester gewissermaßen seine<br />
Delegierten sind <strong>und</strong> ihr Rang <strong>und</strong> ihr Ansehen durch die Nähe zum König bestimmt werden. Die<br />
Vorstellung des Königs wandelt sich dabei vom “Horus” qua “Inkarnation” dieses Gottes über<br />
den König als “Sohn” des Sonnengottes (4. Dynastie) zum König als “Bild” des Sonnengottes<br />
<strong>und</strong> Weltschöpfers (1<strong>2.</strong> <strong>und</strong> 17. Dynastie, Nachwirkung bis zu den Ptolemäern); der Pharao trägt<br />
dessen göttliche Attribute <strong>und</strong> verfügt über seine Kräfte <strong>und</strong> Eigenschaften. Damit ist zugleich<br />
“der Kreis seiner Aufgaben abgesteckt: die am Anfang geschaffene Ordnung der irdischen Welt<br />
immer wieder neu zu setzen <strong>und</strong> zu behaupten.” 170 Der “Staat”, vertreten durch die Gestalt des<br />
Königs, wird damit in irdischer Perspektive zum Garanten <strong>und</strong> Realisator der Ma’at <strong>und</strong> in<br />
kosmischer Perspektive zugleich zum “Generator von Zeit <strong>und</strong> Ewigkeit”. Staat <strong>und</strong> Religion<br />
bilden ein unteilbares Ganzes, ohne dass es zur Spannung zwischen einer etwaigen<br />
transzendenten <strong>und</strong> der weltlichen Ordnung hätte kommen können, weil der König die Ordnung -<br />
anders als in Babylonien oder China - selbst schuf <strong>und</strong> somit nicht an ihr gemessen werden<br />
konnte: “Die Handlungen des Königs folgten nicht der Maat, sie waren die Maat.” 171<br />
Die immer stärker ausgebaute Beamtenschaft <strong>und</strong> Priesterschaft, die ihn bei dieser Arbeit<br />
unterstützt, bezieht ausschließlich vom König ihre Aufgaben <strong>und</strong> ihren Sinn, als integrierter Teil<br />
einer “Hierarchie” im Doppelsinne von “heiliger Herrschaft” <strong>und</strong> Integration in eine steile<br />
pyramidale Gesellschaftsstruktur, die im Gr<strong>und</strong>ansatz des ägyptischen Gesellschaftsgedankens<br />
begründet ist. 172 Der Einzelne fügt sich idealiter “in die von Gott am Beginn der Zeiten gesetzte<br />
Ordnung, die Ma’at. Dieser ordo m<strong>und</strong>i, der Recht, Sitte, Sozialordnung, das Richtige einer<br />
Erkenntnis oder Operation <strong>und</strong> auch die Naturordnung sowie den gesamten Kosmos umfasst,<br />
169 1996, 30.<br />
170 Hornung 4 1993, 74.<br />
171 J. Assmann 1992a, 266. Ebd. noch weiteres zur ägyptischen Ausprägung des “kosmologischen Wahrheitsstils”<br />
der im archaischen Denken öfter anzutreffenden “Homologie von Kosmos <strong>und</strong> Gesellschaft”. Ausführlich zur<br />
“Struktur einer gegenseitigen Verweisung” von “Anthropomorphose des Kosmos” (Ansatz von Kelsen 1946) <strong>und</strong><br />
“kosmomorpher Auslegung des menschlichen Daseins” (Ansatz von Voegelin 1956 ff.) vgl. J. Assmann 1990, 198<br />
ff.<br />
172 Zum Verblassen horizontaler Beziehungen im Vergleich zu den vertikalen vgl. Brunner-Traut 1990, 83 ff. zu Ehe<br />
<strong>und</strong> Familie.