2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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kleinere Organisationseinheiten, wobei die Notwendigkeiten <strong>und</strong> Vorteile einer übergreifenden<br />
Ordnung in Anbetracht der geographischen Verhältnisse Ägyptens mit den regelmäßig<br />
wiederkehrenden Nilüberschwemmungen eine Rolle gespielt haben mögen. 177 Das Ergebnis war<br />
der ägyptische Territorialstaat, der in dieser Form erstmalig in der Geschichte auftaucht <strong>und</strong> eine<br />
eigene, von der Form des Stadtstaatenverb<strong>und</strong>es sehr verschiedene kulturelle Semantik<br />
entwickelt hat: “Stadtstaatenverbünde tendieren zur Ausbildung stark kompetitiver Semantiken,<br />
wofür die griechischen Poleis der archaischen <strong>und</strong> klassischen Zeit sowie die Stadtstaaten der<br />
italienischen Renaissance die bekanntesten Beispiele liefern. Territorialstaaten dagegen bilden<br />
eine integrative <strong>und</strong> kooperative Semantik aus, wofür neben Ägypten das konfuzianische China<br />
charakteristisch ist. In beiden Fällen entsteht eine besonders ausgeprägte integrative Semantik auf<br />
dem Hintergr<strong>und</strong> einer vorgängigen Phase rivalisierender Kleinstaaten: in China die ‘Zeit der<br />
streitenden Reiche’, in Ägypten die Phase der rivalisierenden Häuptlingstümer.” 178 Der<br />
Hintergr<strong>und</strong> der frühen Kämpfe läßt den Weg zum Staat als den Weg von der Gewalt zum Recht<br />
erscheinen <strong>und</strong> erklärt “die ausgeprägte Ideologie der Solidarität <strong>und</strong> Kooperation, die später die<br />
Geisteshaltung des ägyptischen Staates charakterisieren wird.” 179<br />
Im Alten Reich tritt in diesem Prozess der Ausbildung symbolischer Formen allmählich an die<br />
Stelle der tatsächlichen Reise des Königs mit seinem “Horusgefolge” durch das Land, um<br />
Herrschaft <strong>und</strong> Steuern zu sichern, das symbolische Bild der “Königsreise”, das bis zum Ausgang<br />
der ägyptischen Geschichte bestehen bleibt: “So wurde etwa der tägliche Lauf der Sonne über<br />
den Himmel <strong>und</strong> des Nachts durch die Unterwelt als eine solche Königsreise ausgedeutet <strong>und</strong><br />
imaginativ ausgestaltet, durch die der Sonnengott seine weltinganghaltende Herrschaft ausübt.<br />
Herrschaft <strong>und</strong> Bewegung bleiben engverb<strong>und</strong>ene Konzepte im ägyptischen Denken. Vor allem<br />
die Texte, die die Jenseitsherrschaft des toten Königs beschreiben erwähnen ständig seine<br />
machtergreifende <strong>und</strong> herrschaftsausübende Bewegung. Er durchläuft die Stätten des Horus <strong>und</strong><br />
umr<strong>und</strong>et die Stätten des Seth, er fährt stromauf in der Morgen- <strong>und</strong> stromab in der Nachtbarke.<br />
In diesen Bildern lebt etwas von der Semantik der Frühzeit weiter, in der das Schiff das<br />
177 Gerade mit Blick auf Ägypten wird man Wittfogels bekannte These über die Entstehung “hydraulischer<br />
Gesellschaften” eine gewisse Berechtigung nicht bestreiten können, allerdings präzisiert durch die These der<br />
zentralisierten Vorratswirtschaft. Vgl. J. Assmann 1996, 91.<br />
178 J. Assmann 1996, 50 f.<br />
179 Ebd. 51. Mythisch ausgedrückt erscheint dieser Vorgang als Auseinandersetzung <strong>und</strong> vertragliche Einigung von<br />
Horus <strong>und</strong> Seth: “Seth ist der Gott von Naqada, er verkörpert auch die mit der Staatsgründung überw<strong>und</strong>ene<br />
Naqadazeit. In der mythischen Ausformung dieser Wende siegt Ordnung über Chaos, Herrschaft über Anarchie,<br />
Recht über Gewalt. Der Mythos von Horus <strong>und</strong> Seth lässt sich sehr gut als Mythos der Reichseinigung verstehen. Er<br />
betont das Motiv der Vereinigung <strong>und</strong> Versöhnung, der Überwindung von Streit <strong>und</strong> Zwietracht. Er stellt den Staat<br />
dar als eine Rechtsordnung, der sich die rohe Gewalt unterwerfen muss. Der Staat integriert die Gewalt, er bändigt<br />
sie, von einer Natur- zu einer Kulturmacht.” (Ebd. 58) Die gedankliche Integration von Recht <strong>und</strong> Gewalt <strong>und</strong> die<br />
korrespondierende Vereinigung der beiden Reiche (von Ober- <strong>und</strong> Unterägypten) “ist die zum Symbol verfestigte<br />
f<strong>und</strong>ierende Erinnerungsfigur des pharaonischen Ägypten.” (Ebd. 93)