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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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yuxh+*): “Eine solche Theorie bringt die Schrift in dreifache Distanz zur Welt: Die Begriffe<br />

beziehen sich auf die Welt, die Sprache bezieht sich auf die Begriffe, <strong>und</strong> die Schrift bezieht sich<br />

auf die Sprache, <strong>und</strong> zwar nicht auf die Ebene der begrifflichen, sondern der phonetischen<br />

Artikulation. Das extreme Gegenstück dazu ist die ägyptische Hieroglyphenschrift. Sie bezieht<br />

sich mit ihrer realistischen Bildhaftigkeit unmittelbar auf die Welt, <strong>und</strong> mit ihrer Zeichenfunktion<br />

sowohl auf die phonetische als auch auf die semantische Ebene der Sprache. Sie gibt<br />

also nicht nur ‘was in der Stimme ist’, sondern auch ‘was in der Psyche ist’ <strong>und</strong> darüber hinaus<br />

auch noch ‘was in der Welt ist’. ... Die Hieroglyphenschrift geht, was ihre sinnliche Präsenz<br />

angeht, weit über das gesprochene Wort hinaus. In ihr gewinnt Sprache eine vielfältigere,<br />

bezugsreichere Wirklichkeit als in der Stimme. Die Alphabetschrift ist demgegenüber ein<br />

abstraktes Aufzeichnungsmedium für die Stimme, in der die Sprache ihre eigentliche Präsenz <strong>und</strong><br />

Wirklichkeit hat. Griechenland wird zur Schriftkultur nur auf dem Wege der Wortkultur,<br />

Ägypten dagegen ist auch als Bildkultur <strong>und</strong> daher in einem viel umfassenderen Sinne eine<br />

Schriftkultur. Der Weg zur Schrift führt hier nicht nur über die sprachliche, sondern auch über die<br />

bildliche Gestaltung <strong>und</strong> Aneignung von Welt. Die Schrift gilt hier als der höchste <strong>und</strong> heiligste<br />

Ausdruck, den Sinn gewinnen kann.” (1992, 265 f.)<br />

Macht man also die kulturelle Bedeutung der Schrift zum Maßstab <strong>und</strong> nicht ihre Verbreitung, so<br />

wird deutlich, dass für Ägypten (<strong>und</strong> in anderem Sinne auch für Israel - denn Gott ist Autor <strong>und</strong><br />

Schreiber!) die Schrift einen viel höheren Stellenwert in der Gesellschaft hat als für die Griechen:<br />

Dort bildet sie das Heilige ab oder hält es in seinen Wandlungen fest, hier dient sie primär zur<br />

Aufzeichnung mündlicher Vollzüge. Gerade die f<strong>und</strong>ierenden “Großen Texte” der Griechen<br />

(Homer, die Lyrik, die Tragiker, die Platonischen Dialoge) geben sich weitgehend als mündliche<br />

Rede oder räumen dem Mündlichen großen Raum ein (wie die Historiker); sie “tragen ihre<br />

Schriftlichkeit nicht zur Schau, sondern vielmehr ihr bruchloses Hervorgegangensein aus <strong>und</strong><br />

Wiedereingehen in körperliche, lebendige Stimme <strong>und</strong> Interaktion. Offenbar versteht sich die<br />

Schrift hier nicht, wie in Ägypten <strong>und</strong> Israel, als eine ewige, unwandelbar stillgelegte, heilige<br />

Gegenwelt zur Flüchtigkeit des mündlichen Worts.” (ebd. 266 f.) Man kann gerade umgekehrt<br />

das Besondere des griechischen Schriftgebrauchs darin erkennen, dass die Schrift eben nicht<br />

primär zur Erschließung eines heiligen Raumes oder kulturell fixierter Erinnerung in Dienst<br />

gestellt wurde <strong>und</strong> daraus seine Würde bezog, sondern flexibel <strong>und</strong> offen für die Aufnahme,<br />

Veränderung <strong>und</strong> Steigerung mündlicher Kommunikation blieb. Der Gebrauch der Schrift in<br />

Griechenland konnte die Kommunikation “flüssig” erhalten, weil Schrift hier nicht eingeb<strong>und</strong>en<br />

war als Instrument politischer Repräsentation, wirtschaftlicher Organisation <strong>und</strong> bürokratischer<br />

Machtentfaltung wie in den altorientalischen Gesellschaften <strong>und</strong> nicht beauftragt mit der<br />

Festschreibung der Weisung Gottes wie in Israel: “Der Sonderweg griechischer

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