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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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Um die ganze Bedeutung dieses Durchbruchs ermessen zu können, mag als Beispiel für die neue<br />

Form des öffentlich-politischen Denkens der Griechen noch einiges zur Funktion der attischen<br />

Tragödie gesagt werden, wo es seinen vielleicht dichtesten Ausdruck gef<strong>und</strong>en hat.<br />

Hervorgetreten ist die Tragödie in einem langen Prozess 198 auf dem Boden derjenigen Polis, die<br />

innerhalb von nur etwa 150 Jahren zugleich die weltgeschichtlich einmalige <strong>und</strong> bahnbrechende<br />

Entwicklung von der solonischen Eunomie über die Forderung nach Isonomie bis zur radikalen<br />

Demokratie des 5. Jahrh<strong>und</strong>erts vorangetrieben hat: Tragödie <strong>und</strong> demokratische Polis sind<br />

gleichzeitige authentische Erfindungen der Athener, <strong>und</strong> es läßt sich nicht mehr übersehen, dass<br />

es hier wichtige Zusammenhänge gibt. 199 Nachdem in einer historistisch-positivistisch geprägten<br />

Klassischen Philologie lange Zeit versucht worden war, in den Tragödien Anspielungen auf<br />

historische Einzelereignisse zu erkennen, während andererseits die ästhetisch-werkimmanente<br />

Betrachtung der “ewigen Gehalte” vorherrschte, hat es zuerst V. Ehrenberg unternommen, die<br />

griechische Tragödie als “Spiegel des Geistes <strong>und</strong> der Probleme der Zeit” 200 zu beschreiben. Die<br />

griechische Tragödie ist zwar keine didaktische Poesie, soll aber, wie schon Aristophanes<br />

hervorhebt 201 , durch ihren Rat nützlich sein für die Bürger <strong>und</strong> hat darin ihren Wert. 202 In der<br />

Tradition der als göttlich inspiriert geltenden Dichter 203 der älteren Zeit waren auch die großen<br />

griechischen Tragiker autoritative “Bekenner-Priester” <strong>und</strong> als solche Lehrer, “nicht weil sie<br />

belehren wollten, sondern weil sie nicht anders konnten”, da “zwischen der Bühne <strong>und</strong> dem<br />

Leben des Volkes in Athen ein starker gegenseitiger Einfluss” 204 herrschte.<br />

Präziser hat dann wiederum Christian Meier 205 gefragt, warum die Bürger die Tragödie<br />

brauchten, <strong>und</strong> die Antwort in den Schwierigkeiten der neuartigen demokratischen<br />

Regierungsform gef<strong>und</strong>en. Im Unterschied zu modernen Staaten gab es keine festen Institutionen,<br />

keinen Behördenapparat, keine öffentlichen Schulen usw.: “Überall lag die Verantwortung bei<br />

Entwicklungen weltweit benutzt (<strong>und</strong> missbraucht) wird. Unter veränderten Bedingungen werden hier Diskurse<br />

fortgeführt, die die Griechen nicht zu Ende gebracht haben (etwa die um die Legitimität der Sklaverei oder um die<br />

Gleichstellung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wie der Frauen), deren Fragen sie aber zuerst gestellt haben.<br />

198 Zur vielbehandelten Frage nach der Entstehung der Tragödie, der hier nicht nachgegangen werden kann, vgl. jetzt<br />

Latacz 1993, 29 ff.<br />

199 Die Frage des Zusammenhangs von Polis <strong>und</strong> Theater behandeln anregend Meier 1988, Kindermann 1979, aus<br />

archäologischer Sicht Kolb 1979. Vorläufer war Ehrenberg 1956.<br />

200 Ehrenberg 1956, 15.<br />

201 Vgl. Frösche 1009, 1031, 1055 ff.<br />

202 Dagegen erneuerte Reflexion über die Eigenart des Klassischen bei Schwinge 199<strong>2.</strong> Die Entwicklung zu ihrer<br />

ästhetischen Vollendung wird behandelt bei Hösle 1984.<br />

203 Ehrenberg 1956, 23 f.<br />

204 Vgl. Kolb 1979, 526.<br />

205 Meier 1988.

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