2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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Institutionen <strong>und</strong> professionellen Gruppierungen jedem Einzelnen die Chance eröffnet, sich als<br />
Diener der Gottheit zu verstehen <strong>und</strong> zu verhalten.” 75 Andererseits darf nicht übersehen werden,<br />
“dass die neue Idee der Gottesgeborgenheit nicht etwa ersetzend, sondern ergänzend neben das<br />
herkömmliche Ideal der gesellschaftlichen Approbation tritt.” 76 Als oberste Tugend gilt auch<br />
unter den Bedingungen der neuen Konstellation „nicht das Sich-Hervortun vor anderen, sondern<br />
das Sich-Einfügen-Können in die Gemeinschaft. ... Soziale Anerkennung oder Approbation gilt<br />
als höchster Wert, als Gr<strong>und</strong>bedingung menschlichen Lebens im Diesseits wie im Jenseits, wo<br />
das Totengericht die Funktion der Approbation <strong>und</strong> Initiation in die Götterwelt erfüllt. Als<br />
Einzelwesen ist der Mensch nicht lebensfähig, er lebt in der <strong>und</strong> durch die Gemeinschaft: ‘der<br />
Eine lebt, wenn der andere ihn leitet’.” 77 Und an anderer Stelle formuliert Jan Assmann: “Von<br />
diesem Ansatz her entwickelten die alten Ägypter ein Menschenbild, das das Ziel des<br />
Individuums nicht in der Autonomie seiner freien Selbstverwirklichung, sondern in der<br />
Entfaltung in sozialen Konstellationen sieht.” 78 So verw<strong>und</strong>ert es nicht, dass der radikal<br />
Traditionsbruch Echnatons in der Amarna-Zeit als gr<strong>und</strong>stürzend-bedrohlich im tiefsten Sinne<br />
erfahren <strong>und</strong> mit dem vollständigen Vergessen seines monotheistischen Neuanfangs quittiert<br />
wurde - obwohl sein in der Form religiöser Offenbarung erfahrener <strong>und</strong> kosmotheistisch<br />
gedachter Aton-Monotheismus einen “kognitiven Durchbruch” darstellte <strong>und</strong> sich Echnaton<br />
damit “an den Anfang einer Reihe” setzte, “die erst 700 Jahre später die ionischen<br />
Naturphilosophen fortsetzten mit ihrer Frage nach dem einen, alles bedingenden <strong>und</strong> erklärenden<br />
Prinzip.” 79 Mit Recht kann Wolfgang Helck daher zusammenfassen: “Nur in dieser Epoche [sc.<br />
18./19. Dynastie] nähert sich die Vorstellung vom Individuum der der Griechen, um aber bald<br />
wieder zurückzuweichen.” 80 Ausgelöst wohl durch die Krise der Amarna-Zeit “gibt man immer<br />
75 Ebd. Die Lehre des Amenemope im der 20. Dynastie geht sogar soweit, dass sie “im Lichte der existentiellen Gott-<br />
Bezogenheit des Einzelnen alle Werte der gesellschaftlichen Einbezogenheit, Ämter <strong>und</strong> Würden, Macht, Erfolg <strong>und</strong><br />
Status radikal relativiert. Nur Gott weiß, was als Erfolg <strong>und</strong> Misserfolg, Gerechtigkeit <strong>und</strong> Schuld zählt.” (ebd.)<br />
Doch diese Wert-Relativierung ist noch keine selbständige Wert-Setzung (s.u.).<br />
76 Ebd. 977, Anm. 87.<br />
77 Ebd. 974.<br />
78 J. Assmann 1996, 15<strong>2.</strong><br />
79 Ebd. 245. Von einer anderen Seite her verdeutlicht m. E. auch die berühmte Klage des Chacheperreseneb über die<br />
Traditionsgeb<strong>und</strong>enheit der Literatur weniger die altägyptische Individualität als ihre Begrenzung, die hier als<br />
bedrückend <strong>und</strong> leidvoll empf<strong>und</strong>en wird: “O dass ich unbekannte Sätze hätte, seltsame Aussprüche, neue Rede, die<br />
noch nicht vorgekommen ist, frei von Wiederholungen, keine überlieferten Sprüche, die die Vorfahren gesagt haben<br />
... “ (zitiert nach: Assmann 1996, 198) Man vergleiche Archilochos <strong>und</strong> Sappho: Ihre Klage gilt nicht der Beengung<br />
durch eine kanonisierte Tradition, also einem “Zuwenig” an Freiraum, sondern der aämhxani´a des Einzelnen, der sich<br />
den Herausforderungen jedes neuen Tages ausgesetzt sieht ohne die Sicherheit eines Netzes, wie es die Idee der<br />
konnektiven Gerechtigkeit der Ma’at bieten konnte.<br />
80 Ebd. 154. Vgl. auch Hornung 1992, 85 zu dem in der Zeit der 18 Dynastie anzutreffenden Wunsch, einmalige<br />
“Spitzenleistungen zu vollbringen”, die man nach Wolfgang Decker “in die Nachbarschaft des modernen<br />
Rekordbegriffs” (ebd.) stellen könne.