2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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ihnen wesensverwandt gedachten Helden ermöglichte. Die schon bald (bei Xenophanes um 520<br />
v. Chr.) philosophisch kritisierte anthropomorphe Struktur des griechischen Gottesglaubens<br />
zeigte zuerst ihre Stärke gerade darin, dass die offensichtlich intensiv empf<strong>und</strong>ene persönliche<br />
Nähe der Götter zu ihren Schützlingen (<strong>und</strong> ähnlich, nur negativ: zu ihren Feinden) Personbildend<br />
<strong>und</strong> Persönlichkeit-fördernd sich auswirken konnte. Was wären Achill oder Odysseus<br />
ohne Athene? Gerade weil aber auch die göttliche Freiheit <strong>und</strong> Verfügungsgewalt durch die<br />
Macht der moi+ra beschränkt gedacht wurde <strong>und</strong> die Götter zwar als Stärkere (krei´ttoneÓ), aber<br />
eben nicht als allmächtig betrachtet wurden, ließen sie ihren Schützlingen genügend Freiraum,<br />
um ihr Leben erkennend selbst zu gestalten; <strong>und</strong> zwar ohne zugleich mit der Bürde belastet zu<br />
sein, beim In-Gang-Halten der Welt mitwirken zu müssen, <strong>und</strong> ohne die Angst haben zu müssen,<br />
durch die Schaffung von etwas Neuem <strong>und</strong> in unserem Sinne Individuellen vom Ritual<br />
abzuweichen <strong>und</strong> damit die Welt ins Chaos zu stürzen. Vielmehr sind es umgekehrt gerade die<br />
Götter, die ihre Schützlinge zum Sagen <strong>und</strong> Tun des Besonderen ermuntern <strong>und</strong> ihnen den Mut<br />
<strong>und</strong> die Kraft, aber auch die nötige Besonnenheit dazu geben.<br />
Wenn man trotz dieser schon bei Homer gr<strong>und</strong>gelegten Verschiedenheit zum altägyptischen<br />
Individualitätsverständnis gerade für Homer wegen der engen Verb<strong>und</strong>enheit der Helden mit<br />
ihrer Gesellschaft <strong>und</strong> ihrem engen Bezug zu den göttlichen Mächten von einer gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> mythischen “Geb<strong>und</strong>enheit” des homerischen Menschen gesprochen hat, so erscheint diese<br />
Formel also nur in eingeschränkter Form als berechtigt: nämlich dann, wenn man das<br />
Individualitätsverständnis bei Homer nicht mit dem altägyptischen Individualitätsverständnis<br />
vergleicht, sondern mit dem Ergebnis des bei Homer erst beginnenden<br />
Individualisierungsprozesses, der, gemessen an den langen Veränderungszeiträumen in der<br />
altägyptischen Geschichte, mit hoher Geschwindigkeit <strong>und</strong> unumkehrbarer Wirkung innerhalb<br />
von nur 200 Jahren von Hesiod über die Lyrik zum entwickelten Individualismus des 5.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts geführt hat. Da erst dieser entwickelte Individualismus des 5. Jahrh<strong>und</strong>erts zum<br />
konstitutiven Baustein des okzidentalen Selbstverständnisses <strong>und</strong> damit der okzidentalen<br />
Referenzstruktur geworden ist, muss dieser Prozess wenigstens in seinen Gr<strong>und</strong>zügen vorgestellt<br />
werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränke ich mich dabei im wesentlichen auf die<br />
Veränderungen von Homer über Hesiod zur Lyrik <strong>und</strong> weiter zur Tragödie, obwohl auch die<br />
vorsokratische Philosophie <strong>und</strong> die Geschichtsschreibung verstärkende <strong>und</strong> fördernde Elemente<br />
innerhalb dieses Prozesses ausmachen.<br />
Als Ausgangspunkt <strong>und</strong> Kontrast soll hier zunächst die Skizze des homerischen Welt- <strong>und</strong><br />
Menschenbildes etwas weiter ausgeführt werden. Ich beziehe mich dabei vor allem auf die Ilias<br />
<strong>und</strong> gehe nur kurz auf die Odyssee ein. Im Interesse größerer Klarheit mag es zudem erlaubt sein,