2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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Spielraum für eine ‘Eigenwilligkeit’ “ 70 Das berauschende neue Gefühl des freien Willens des<br />
Einzelnen, das zur Auflösung des festgefügten Ordnung des Alten Reiches beigetragen haben<br />
muss, spricht sich in der Ersten Zwischenzeit exemplarisch aus in dem von einer geradezu<br />
renaissancehaften Selbstherrlichkeit getragenen Text des Gaufürsten Anchtifi von Mo`alla, der<br />
seine eigene Einzigkeit <strong>und</strong> Unvergleichlichkeit preist:<br />
“Ich bin der Anfang <strong>und</strong> das Ende der Menschen,<br />
denn ein mir Gleicher ist nicht entstanden<br />
<strong>und</strong> wird niemals entstehen;<br />
ein mir Gleicher ist nicht geboren<br />
<strong>und</strong> wird nicht geboren werden.<br />
Ich habe übertroffen die Taten der Vorfahren,<br />
<strong>und</strong> keiner nach mir wird erreichen, was ich getan habe<br />
in diesen Millionen Jahren.” 71<br />
Deutlich sichtbar zeigt sich hier in der Ersten Zwischenzeit <strong>und</strong> dann im Mittleren eine<br />
erhebliche Veränderung des Personalitätsbegriffs, die im Zusammenhang steht mit der<br />
Konzeption des Ba <strong>und</strong> des “hörenden Herzens” sowie mit der Entwicklung des Osirisglaubens<br />
<strong>und</strong> des Totengerichts. Die “Außenstabilisierung” (Gehlen) des Menschen durch König <strong>und</strong><br />
Ma’at im Alten Reich führt in der desorientierenden Katastrophe seines Untergangs zur<br />
Ausbildung eines Konzeptes vom Ba als Träger der Fortdauer eines jeden Einzelnen über den<br />
Tod hinaus aus eigener Kraft. Ebenso wie in der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Lehre<br />
vom Herzen werden jetzt die Eigeninitiative <strong>und</strong> Eigenverantwortung des Menschen für sein<br />
Leben betont, für das er sich im Totengericht verantworten muss, um auf diesem Wege durch<br />
Übertragung der Osiriswürde die Unsterblichkeit zu gewinnen.<br />
Man darf jedoch nicht übersehen, dass diese ganz erstaunliche “Erfindung des inneren<br />
Menschen” (Assmann) mit ihrer Betonung innerer Werte wie Wesen, Charakter <strong>und</strong> Gesinnung<br />
zwar auf eine neuartige Innenstabilisierung des Menschen zielt <strong>und</strong> damit eine erhebliche<br />
Veränderung im ägyptischen Denken bedeutet, jedoch am Ende auf eine Verinnerlichung der<br />
alten, monistisch-inklusiven Ma’at-Konzeption hinausläuft <strong>und</strong> somit gesellschaftlich weiterhin<br />
die Integration des Einzelnen, nicht seine Freisetzung zum Ziel hat. Denn im Mittleren Reich<br />
wird in anderen Texten ebenfalls Bewusst, dass der - spätestens jetzt in der Lehre vom “hörenden<br />
Herz” verankerte - freie Wille “richtige wie falsche Entscheidungen treffen kann. Letztlich<br />
70 Ebd. 153.<br />
71 Zitiert nach J. Assmann 1982, 97<strong>2.</strong> Vgl. auch J. Assmann 1996, 109 ff.