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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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aller Veränderungen in das monistisch-inklusive Ma’at-Konzept eingeb<strong>und</strong>en blieb, in dem<br />

Kosmos <strong>und</strong> Geschichte nicht getrennt erschienen <strong>und</strong> das im monistischen Kosmotheismus der<br />

Spätzeit eine neue letzte Ausprägung erfuhr 159 , möchte ich vorschlagen, von einer<br />

“kosmotheistischen Historizität” der Ägypter zu sprechen. Sowohl die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Zukunftsorientierung in der gottgelenkten Geschichte, wie sie in Israel konzeptualisiert wurde 160 ,<br />

als auch die griechische Fokussierung des Geschichtsdenkens auf die Grenzen <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

des menschlichen Handelns bleiben dem Ägypter letzten Endes fremd.<br />

Mag auch das Geschichtsdenken der Griechen im Vergleich mit der Moderne gelegentlich als<br />

“ahistorisch” (O. Spengler) bezeichnet worden sein, wenn man den Maßstab eines spezifisch<br />

modernen Verständnisses von Geschichte als einem selbstlaufenden zielgerichteten Prozess mit<br />

eigener unentrinnbarer Gesetzmäßigkeit angelegt hat 161 , so tritt doch andererseits die Differenz<br />

des griechischen zum altägyptischen Geschichtsdenken deutlich vor Augen, <strong>und</strong> zwar von<br />

Anfang an. Gemeint ist damit weniger, dass es im griechischen Denken alle prinzipiell denkbaren<br />

Entwicklungsmodelle der Geschichte gibt: das pessimistische Dekadenzmodell in Gestalt der<br />

altorientalisch vorgeformten <strong>und</strong> von Hesiod (Erga 118 ff.) adaptierten Weltalterlehre vom<br />

goldenen bis zum eisernen Zeitalter; das (später bei Poseidonios wieder auf den technischzivilisatorischen<br />

Bereich eingeschränkte) optimistische Fortschrittsmodell seit Xenophanes,<br />

Demokrit <strong>und</strong> der Sophistik; zyklische Modelle von der Abfolge unzähliger Kulturperioden in<br />

der Philosophie Platons oder bei den Stoikern. Alle diese Entwicklungsmodelle von Geschichte<br />

blieben bei den Griechen auf bestimmte Personenkreise oder Zeiten beschränkt, keines von ihnen<br />

setzte sich durch <strong>und</strong> wurde kulturdominant. Gemeint ist schon eher die Tatsache, dass die<br />

Griechen von Anfang an Geschichte in großen Wirkungszusammenhängen dachten <strong>und</strong> auch die<br />

Zukunft im Blick hatten, die sie nicht wie die Ägypter als Bedrohung, sondern im Modus der<br />

Unverfügbarkeit erlebt haben: Was durch moi+ra, tu´xh oder eiÄmarme´nh verhängt ist oder sich<br />

waren. ... Der Hellenismus überzog die verschiedenen Völker <strong>und</strong> Kulturen, Religionen <strong>und</strong> Traditionen der<br />

damaligen Welt weniger mit einem einheitlichen Firnis griechischer Kultur, als dass er ihnen ein flexibles Medium<br />

kultureller <strong>und</strong> religiöser Ausdrucksformen vermittelte. Die Kultur der Spätantike verdankt mindestens ebensoviel<br />

den orientalischen Kulturen wie dem griechischen Erbe, <strong>und</strong> die sprachlichen, intellektuellen, mythologischen <strong>und</strong><br />

bildlichen Ausdrucksformen der griechischen Kultur stellen weniger eine Alternative oder gar Antithese zu lokalen<br />

Traditionen dar, sondern verliehen ihnen vielmehr eine neue Stimme.” (ebd. 470 f.)<br />

159 Vgl. dazu ebd. 464 ff.<br />

160 Vgl. dazu u.a. Brunner-Traut 1990, 108 ff.<br />

161 Es gibt vielleicht kein deutlicheres Beispiel einer interkulturellen Synthese mentaler Dispositionen als diese<br />

Verschmelzung des jüdisch-christlichen, heilsgeschichtlich-zielgerichteten Denkens mit der Frage der Griechen nach<br />

der immanenten Gesetzmäßigkeit in der Geschichte. Interessant <strong>und</strong> m. E. symptomatisch für die neue interkulturelle<br />

Situation des späten 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist, dass mit dem Strukturalismus in der Geschichtsforschung in neuer Weise<br />

griechische Ansätze in der Wissenschaft aufgegriffen werden, während andererseits die teleologischen Elemente in<br />

Anbetracht der Ambivalenzen des Fortschritts zunehmend durch (z. T. ökologisch f<strong>und</strong>ierte) zyklische Elemente<br />

ergänzt werden. Die Frage stellt sich damit neu, worin eine transreligiöse <strong>und</strong> interkulturelle Zielperspektive der<br />

menschheitsgeschichtlichen Entwicklung bestehen könnte.

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