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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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Konstruktion kultureller Zeit. Ägypten wird sich seiner Zeittiefe Bewusst, entwickelt ein<br />

neuartiges KulturBewusstsein <strong>und</strong> versucht, dieses Bewusstsein in einer großen Vielfalt<br />

künstlerischer <strong>und</strong> literarischer Formen zum Ausdruck zu bringen. Die sprachliche, ikonische<br />

oder architektonische Form wird nun nicht mehr einfach als das alternativenlos Richtige <strong>und</strong><br />

Normgemäße entworfen, sondern in Bewusster Selektion aus einem Paradigma möglicher<br />

Optionen ausgewählt. Dadurch gewinnen die Botschaften eine reflexive Dimension: sie<br />

realisieren nicht nur ein bestimmtes Thema bzw. eine bestimmte Funktion, sondern machen<br />

darüber hinaus auch eine stilistische Wahl sichtbar, die ein Bekenntnis zur Vergangenheit<br />

darstellt <strong>und</strong> damit zu Ägypten als einer kulturellen Identität.” 156 Das vergangenheitsbezogene<br />

“zitathafte Leben” wird zum identitätsbildenden Moment für die Bedürfnisse einer sich<br />

distinguierenden aristokratischen Oberschicht <strong>und</strong> zugleich für alle Ägypter im Gegenüber zu den<br />

Repräsentanten der äußeren Kulturen <strong>und</strong> fremden Herren, also gegenüber Assyrern, Griechen,<br />

Juden <strong>und</strong> Persern.<br />

Assmann fasst eindrucksvoll zusammen: “Die Saitenzeit schafft im Sinne der Wiederbelebung<br />

vergessener Traditionen eine vollkommen neue Formensprache <strong>und</strong> entwickelt in der Pflege des<br />

kulturellen Gedächtnisses jene spätägyptische Identität abgeklärter, die Jahrtausende<br />

überblickender kultureller Altersweisheit, die die Griechen so tief beeindruckt hat. Die Ägypter<br />

dieser Zeit leben im Bewusstsein, Erben einer immensen Vergangenheit zu sein. Sie haben die<br />

Archive studiert, die Königslisten <strong>und</strong> Stammbäume kompiliert, sie wissen, wo die<br />

staunenerregenden Monumente der Vergangenheit historisch zu lokalisieren sind, <strong>und</strong> erzählen<br />

sich keine Märchen von Giganten <strong>und</strong> Kyklopen. Sie leben in einem Jahrtausende umfassenden<br />

Erinnerungsraum, der ihnen in Pyramiden <strong>und</strong> Mastabas, Sphingen, Obelisken <strong>und</strong> Stelen<br />

überwältigend sichtbar vor Augen steht <strong>und</strong> in Annalen <strong>und</strong> Listen, Inschriften <strong>und</strong> Bildern<br />

chronologisch <strong>und</strong> historisch bis in alle Winkel ausgeleuchtet ist. Wenn es denn zutrifft, dass<br />

Vergangenheit nicht ansteht, sondern hervorgebracht werden muss durch erinnernden<br />

Rückbezug, dann kann man sagen, dass noch nie eine Zeit in Ägypten so reich war an<br />

Vergangenheit.” 157 Diese Tendenz setzt sich fort in der Spätzeit, wo Geschichte unter dem Druck<br />

der verschiedenen Fremdherrschaften neue Bedeutung gewinnt als aufbauende Erinnerung an die<br />

eigene Größe, aber auch als Erklärung der Unterdrückung durch die Schuld eigenen<br />

Fehlhandelns, <strong>und</strong> in geradezu messianischer Weise im “Töpferorakel” als hoffnunggebender<br />

Zuspruch für eine Zukunft, in der die Größe der Vergangenheit wieder erreicht werden kann. Die<br />

156 Ebd. 375. Vgl. auch 379, wo er ausdrücklich von einem Durchbruch des historischen Bewusstseins spricht, wie er<br />

sich in ähnlicher Form auch in Israel <strong>und</strong> Griechenland abgespielt habe. Die Entdeckung des Vergangenen als<br />

f<strong>und</strong>ierende Vergangenheit darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, Ägypter, Juden <strong>und</strong> Griechen hätten seitdem<br />

eine gleiche Vorstellung von Geschichte (s. u.).<br />

157 Ebd. 38<strong>2.</strong>

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