2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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Diese Gr<strong>und</strong>züge ägyptischer Historizität bleiben im wesentlichen erhalten, auch wenn an diesem<br />
Bild analog zu den oben für Reflexivität, Individualität <strong>und</strong> Kommunikabilität gemachten<br />
Ausführungen Ergänzungen anzubringen sind, die wiederum besonders die Zeit des Neuen<br />
Reiches betreffen. Im Zusammenhang der Darstellung der Schlacht von Kadesch unter Ramses<br />
II. etwa wird schlaglichtartig deutlich, dass im Zusammenhang der Verblassung des Ma’at-<br />
Konzeptes nicht nur ein neues Verständnis von Individualität, sondern auch von Historizität<br />
aufkommt. Die neue Theologie des Willens setzt den Einzelnen in die Hand des göttlichen<br />
Willens, um ihn der Kontingenz zu entreißen, die auch in der Ma’at-bestimmten Welt immer<br />
wieder von der Isfet droht. Während bisher die ägyptischen Begriffe für Zukunft <strong>und</strong> Geschichte<br />
die “Konnotation des Unheilvollen” hatten, weil sich in Schicksalsschlägen <strong>und</strong><br />
“Widerfahrnissen” nicht die Macht eines Gottes, sondern die unbezwingbare <strong>und</strong> unkalkulierbare<br />
Macht des Chaos <strong>und</strong> des Bösen zeigte, wird jetzt das Geschehen im religiösen Sinne lesbar<br />
gemacht als Lohn <strong>und</strong> Strafe im Rahmen eines Tun-Ergehens-Zusammenhangs. In bis dahin<br />
unbekannter Genauigkeit wird daher ein einmaliges historisches Ereignis wie die Kadesch-<br />
Schlacht mit vielen individuellen Einzelheiten geschildert, geographisch verortet <strong>und</strong> die<br />
Leistung des Königs gewürdigt, dessen Leben von Amun selbst gerettet wird.<br />
Zweierlei wird hier deutlich: Erstens erscheint das geschichtliche Handeln des Königs<br />
entritualisiert: “Es wird nicht mehr als Vollzug einer uralten Vorschrift empf<strong>und</strong>en, sondern als<br />
das Vollbringen einer einmaligen Tat. Das Ereignis zählt, nicht die Routine.” 151 Und zweitens<br />
werden alle diese Kriege im Auftrag Amuns geführt, entwickelt sich also “eine<br />
Geschichtstheologie, die die Geschichte aus dem planenden Willen <strong>und</strong> den Interventionen<br />
Gottes hervorgehen läßt.” 152 Der Ereignischarakter des historischen Geschehens nimmt zu, der<br />
neuen offenen Denken der Griechen nicht gewachsen, das in das eigene System nicht integriert werden konnte. Vgl.<br />
auch J. Assmanns Begriff des “kalten Gedächtnisses” für Ägypten, wo die f<strong>und</strong>ierenden Geschichten des Mythos<br />
<strong>und</strong> der Geschichte nicht zum Inzentiv, sondern zum Quietiv für Erinnerung wurden: “Was ergibt sich für die<br />
Ägypter aus ihrem wohldokumentierten Rückblick in die Jahrtausende? Dass sich nichts verändert hat. Diesem<br />
Nachweis dienen die Königslisten, Annalen <strong>und</strong> sonstigen Dokumente. Sie beweisen nicht die Bedeutsamkeit,<br />
sondern im Gegenteil die Trivialität der Geschichte. Die Königslisten erschließen die Vergangenheit, aber sie laden<br />
nicht dazu ein, sich mit ihr zu beschäftigen. Indem sie sie dokumentieren, entziehen sie sie der Phantasie. Sie zeigen,<br />
dass sich nichts Erzählbares ereignet hat. ... Die Königslisten sind ein Instrument der Orientierung <strong>und</strong> Kontrolle,<br />
nicht der Sinnstiftung. Wir wollen daher festhalten: Diese ganze intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit, wie<br />
sie sich in der altorientalischen Zeitrechnung, Annalistik <strong>und</strong> in den Königslisten niederschlägt, dient der<br />
Stillstellung <strong>und</strong> Entsemiotisierung der Geschichte.” (J. Assmann 1992, 73 ff.)<br />
151 J. Assmann 1996, 230. Vgl. zur Kadesch-Schlacht <strong>und</strong> ihrer nach Quantität <strong>und</strong> Qualität neuartigen<br />
Darstellungsweise ebd. 285 ff.<br />
152 Ebd. 230. Vgl. auch J. Assmann 1990, 262 ff.: “Die Geschichte ist das kollektive Korrelat zu dem, was auf<br />
individueller Ebene das Schicksal ist. Als Herr des Einzelschicksals ist die Gottheit auch Herr der Geschichte. Auch<br />
für die Könige ist die Geschichte nicht mehr die schiere Kontingenz einer ungewissen Zukunft, gegen die es sich mit<br />
der rituellen Inganghaltung der Ordnung zu schützen gilt, vielmehr erscheint sie auch hier als die Sphäre göttlicher<br />
Planung <strong>und</strong> Intervention, in der es sich von Fall zu Fall zu bewähren gilt. Das historische Ereignis gewinnt nun