2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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aufgezeigten Merkmale der altägyptischen Kultur anschließt. 92 Die Bilder der<br />
Hieroglyphenschrift sind demnach von den Ägyptern immer “als eine Abteilung der Kunst”<br />
(1996, 86) aufgefasst worden <strong>und</strong> wurden als “Gottesworte” bezeichnet. “Durch die Stillstellung<br />
der monumentalen Formensprache inklusive der Hieroglyphenschrift soll die maximale<br />
Lesbarkeit der ‘Gottesworte’ sichergestellt werden als der Zeichen, in denen die Ägypter das<br />
Heilige ansprechen <strong>und</strong> vergegenwärtigen zu können glaubten.” (ebd. 87) Damit findet sich die<br />
Stillstellung der Formen nicht nur im “liturgischen Gedächtnis” der Riten, sondern auch im<br />
“monumentalen Gedächtnis” der Gräber <strong>und</strong> Tempel <strong>und</strong> konstituiert in der Form der<br />
Wiederholung den “kulturellen Prohibitiv” der “Tabuisierung von Veränderung <strong>und</strong> Innovation.”<br />
(ebd.) Der repräsentative, öffentliche Gebrauch der Schrift wurde also nicht bestimmt von der<br />
Funktion der Vermittlung neuer Erkenntnisse, sondern zeigt etwa den “Vorlesepriester” oder den<br />
“Träger der Schriftrolle” fast unverändert vom Alten Reich bis zu den Tempeln der griechischrömischen<br />
Zeit als präzisen Rezitator von Texten, deren normative Autorität <strong>und</strong> magische Kraft<br />
im Akt der Rezitation vergegenwärtigt werden soll <strong>und</strong> muss, um die Welt in Gang zu halten:<br />
“Das Heilige ändert sich nicht, also darf in den symbolischen Formen, die es zur Gegenwart<br />
bringen, keine Veränderung zugelassen werden. ... Die Riten <strong>und</strong> Rezitationen sind eine exakte<br />
Mimesis des kosmischen Lebens in der Kreisläufigkeit seiner natürlichen Abläufe wie Tag <strong>und</strong><br />
Nacht, Sommer <strong>und</strong> Winter, Gestirnsbahnen, Nilüberschwemmung, Aussaat <strong>und</strong> Ernte, Verfall<br />
<strong>und</strong> Regeneration. Das Ziel dieser rituellen Mimesis ist zweierlei. Erstens soll die Menschenwelt<br />
mit den ihr eigenen Abläufen in diese heilige Kreisläufigkeit des kosmischen Lebens eingefügt<br />
werden, damit auch ihrem Verfall die Chance der Regeneration eröffnet ... wird. Zweitens aber<br />
geht es in aller Deutlichkeit auch darum, dieses kosmische Leben selbst in seiner Kreisläufigkeit<br />
in Gang zu halten <strong>und</strong> die Zeit in ihrer kalendarischen Ordnung nicht nur zu beobachten, sondern<br />
zuallererst zu erzeugen. ... Die rituelle Institutionalisierung von Permanenz hat also einen<br />
kosmischen Sinn, sie erzeugt kulturelle Ordnung, um kosmische Ordnung zu bewahren. Es<br />
handelt sich um eine wahrhaft kosmogonische Memoria. Die Welt wird erinnert, um sie zu<br />
erhalten gegen die ständig wirksame Tendenz zum Zerfall, zum Stillstand, zur Entropie, zum<br />
Chaos.” (ebd. 88)<br />
Im Kern haben schon Platon <strong>und</strong> Iamblichos dies gesehen <strong>und</strong> die Hieroglyphenschrift als<br />
“Kodifikation einer kulturellen Grammatik” <strong>und</strong> als “Kommunikationsmedium mit dem<br />
Heiligen” (ebd. 89) betrachtet. Jan Assmann fasst zusammen: “Ritus <strong>und</strong> Monumentalkunst sind<br />
daher die beiden Gebiete, auf denen in Ägypten das Prinzip Kanon durchgesetzt wird. Durch die<br />
schriftliche Aufzeichnung der Riten soll deren perfekte Wiederholbarkeit sichergestellt werden,<br />
92 Vgl. zum Folgenden besonders J. Assmann 1992 <strong>und</strong> 1996, an dessen luzide Ausführungen ich mich in diesem<br />
Kapitel weitgehend anschließe.