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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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55<br />

Die Wirkung solcher Thesen auf das zu großen Teilen noch “altgläubige” Volk von Athen ist<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer öffentlichen Diskussion in der Demokratie außerordentlich groß gewesen. Die<br />

abwehrende Reaktion gegen das überstürzte Eindringen dieser in Ionien gereiften Gedanken war<br />

mitunter heftig <strong>und</strong> ist sowohl aus dem Spott der Komödie des Aristophanes als auch im<br />

Zusammenhang mit den Asebie-Prozessen 103 deutlich zu greifen. Wurden Asebie-Prozesse in der<br />

älteren Zeit wegen kultischer Vergehen angestrengt, so änderte sich das im Jahr 432 v. Chr. mit<br />

dem Gesetz des Diopeithes: Nunmehr “soll Klage erhoben werden gegen Leute, die die Religion<br />

nicht mitmachen <strong>und</strong> die astronomische Lehren verbreiten”. 104 Es ging also um die Freiheit des<br />

Denkens, <strong>und</strong> Asebieprozesse dieser Art wie die gegen Aspasia, Anaxagoras, Protagoras,<br />

Diagoras von Melos <strong>und</strong> Sokrates waren bezeichnenderweise “eine Eigenart der athenischen<br />

Demokratie” 105 <strong>und</strong> zeigen in charakteristischer Weise die religiös-politische Gemengelage der<br />

demokratischen Polis Athen. “Die bürgerliche Frömmigkeit Athens 106 fühlte sich durch die neuen<br />

geistigen Strömungen, unter denen sie die positive Kritik der Religion von der negativen nicht zu<br />

unterscheiden vermochte, beunruhigt, <strong>und</strong> so setzten sich die in ihr mächtigen konservativen<br />

Kräfte mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln der Staatsgewalt gegen die Neuerer zur<br />

Wehr.” 107<br />

Angesichts dieser geistigen Kämpfe überrascht es nicht, dass es keine einheitliche Theologie aller<br />

drei großen uns noch aus ihren Stücken bekannten Tragiker gibt, sondern dass sie deutlich<br />

voneinander unterschiedene Konzepte aufweisen. 108 Nach antiker Überlieferung kämpfte<br />

Aischylos in der Schlacht von Marathon mit (<strong>und</strong> hielt nur dies für wichtig genug, um es auf<br />

seinem Grabstein zu erwähnen), der junge Sophokles führte den Reigen der Epheben bei der<br />

Siegesfeier an, <strong>und</strong> Euripides wurde geboren. Dieser Synchronismus ist (wie so oft in der Antike)<br />

zugleich ein Sinn-chronismus: Während Aischylos den Sieg über die Perser wie wohl die meisten<br />

Athener seiner Generation gläubig als von den Göttern gewirkt ansah 109 <strong>und</strong> Euripides’ Denken<br />

103 Dazu Nestle 14 ff.<br />

104 Plut. Per. 3<strong>2.</strong><br />

105 Nestle II 1933, 14.<br />

106 Athen galt als die gottesfürchtigste Stadt: Isokr. 4,33; Aeschin. 3,129; Dem. 1,87; Pausanias I 17,1 <strong>und</strong> 24,3; Apg.<br />

17,2<strong>2.</strong><br />

107 Nestle II 1933, 17.<br />

108 Gerade weil uns dies selbstverständlich erscheint, verdient dieser Punkt doch hervorgehoben zu werden: Während<br />

sich die theologischen Positionen in Ägypten mit der Ausnahme der Amarnazeit nur fast unmerklich <strong>und</strong> in<br />

Zeiträumen von Jahrh<strong>und</strong>erten veränderten, bringt die akzelerierte historische Entwicklung im Athen des 5.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts nicht nur ständig neue Entwürfe, sondern muss auch erstmalig mit der Gleichzeitigkeit inhaltlich<br />

unvereinbarer Positionen fertig werden.<br />

109 Vgl. Lesky 3 1971, 278. Themistokles formulierte nach Herodot VIII 109 damals das, was alle dachten: “Nicht<br />

wir, sondern die Götter <strong>und</strong> Heroen haben das vollbracht.” - Bei dem folgenden Kurzvergleich der Tragiker stütze<br />

ich mich außerdem vor allem auf: Lesky 31972, Kindermann 1979, 66 ff., Latacz 1993 <strong>und</strong> Nestle I <strong>und</strong> II 1933.

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