2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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mancher Entscheidungsprozesse zeigt sich die Anfänglichkeit dieser neuen Art des Denkens, die<br />
sozusagen noch verständlich gemacht werden muss, indem sie vorgeführt wird.<br />
Zugleich ist, wie gesagt, die Mitwirkung der Götter konstitutiv. Diese bilden gleichsam eine<br />
überhöhte Adelsgesellschaft, die in der übermenschlich freien Fülle ihrer vitalen Existenz ein<br />
unsterbliches, “leichtes” Leben führen <strong>und</strong> auf diese Weise als ständige Folie zur Begrenztheit<br />
des Menschenlebens dienen. Die durch die moi+ra nur unwesentlich eingeschränkte, amoralische<br />
Allmacht der Götter, die dem Menschen nach Gutdünken schaden oder nützen können, führt<br />
schließlich zu der Frage, woran der Mensch sich auf- <strong>und</strong> ausrichtet. Da man an ein<br />
befriedigendes Fortleben nach dem Tode nicht glaubt, sondern alle Hoffnungen auf das Diesseits<br />
setzt, streben die Menschen bei Homer mit starker, oft durch keine Reflexion gesteuerte<br />
Emotionalität nach ganz diesseitigen Werten, die deutlich wieder der Adelsgesellschaft<br />
entstammen. Das äußere Leben will in Reichtum, Macht <strong>und</strong> Glanz geführt werden, die<br />
moralische Existenz des homerischen Menschen aber verlangt nach Ruhm, Ansehen <strong>und</strong> Ehre<br />
<strong>und</strong> ist daher von der Anerkennung durch die Gemeinschaft abhängig. Da diese denjenigen rühmt<br />
<strong>und</strong> (ganz materiell) ehrt, der über aäreth´ in Form von Reichtum <strong>und</strong> Leistung, Kraft <strong>und</strong><br />
Schönheit verfügt, gilt das ganze Trachten der Helden der Ilias zunächst diesen äußeren Werten,<br />
um sich dadurch Ruhm, Ehre <strong>und</strong> einen unsterblichen Namen zu erwerben.<br />
In der Odyssee zeigen sich demgegenüber bei gleicher Gr<strong>und</strong>struktur des Menschenbildes<br />
Ansätze, die “moderner” sind <strong>und</strong> die Welt der Lyrik vorbereiten. Nicht mehr das gradlinige,<br />
ritterliche Handeln nach Maßgabe von Standesehre <strong>und</strong> Schicksal sind oberstes Gebot, sondern<br />
die kluge Anpassung an alle möglichen, unerwarteten Situationen; nicht mehr Ruhm <strong>und</strong> Ehre<br />
sind die Leitziele, sondern Überleben <strong>und</strong> Erfolg, herbeigeführt durch Intelligenz <strong>und</strong><br />
Wendigkeit. Im Ganzen herrscht ein größerer Realismus, finden mehr Details aus dem<br />
Alltagsleben Eingang, sind die seelischen Regungen vielfältiger <strong>und</strong> weniger schroff. Wo Achill<br />
noch vor der Leiche Hektors mit seinem Sieg geprahlt hatte, verbietet Odysseus dies der Amme<br />
Erykleia angesichts der toten Freier. Hier äußert sich eine neue Frömmigkeit, die auch mit der<br />
gesteigerten Reflektion des Dichters <strong>und</strong> seiner Figuren über das menschliche Tun <strong>und</strong> seine<br />
Verantwortung zusammenhängt (vgl. Od. a 32-43 u. Il. T 85 ff.). Doch zur unmittelbaren<br />
Selbstaussprache boten die festen Gesetze des Epos dem Dichter keinen Raum. Sie schuf sich<br />
unter veränderten sozialen Bedingungen in der Lyrik ein eigenes Genos als Ausdruck <strong>und</strong><br />
Medium eines umfassenden geistigen Umbruchs <strong>und</strong> Aufbruchs.<br />
Verständlich wird diese Entwicklung nur im Zusammenhang mit den sozialökonomischen<br />
Veränderungen in Griechenland vom 8. Jahrh<strong>und</strong>ert an. An die Stelle der aristokratischen