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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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suchender Einzelgänger war, niemals öffentliche Ämter bekleidet hat <strong>und</strong> zur Gemeinschaft eher<br />

auf kritische Distanz ging, im 5. Jahrh<strong>und</strong>ert der umstrittenste <strong>und</strong> am wenigsten erfolgreiche der<br />

drei großen Tragiker, gerade weil sich in seinem Denken schon die fortschreitende Loslösung des<br />

Individuums aus der politisch-religiösen Gemeinschaft ankündigte.<br />

Sophokles (496-406/5) steht seinem Leben <strong>und</strong> Denken nach zwischen den beiden schon<br />

behandelten Tragikern. Wie für Aischylos sind auch für ihn die Götter der Volksreligion eine<br />

Glaubensgewissheit. “Ihre Verehrung in den hergebrachten Formen, mit Gebet <strong>und</strong> Opfer, der<br />

Glaube an ihre Offenbarungen in Träumen <strong>und</strong> Orakeln, der Gehorsam gegen ihre Weisungen,<br />

zumal wenn es gilt, eine Befleckung durch Sühne oder Reinigung zu tilgen ist ihm<br />

Herzenssache.” 127 Doch die Götter wirken in den meisten seiner Dramen nur im Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

sind nicht im Sinne der aischyleischen Theodizee sittlich gerechtfertigt. Eher erscheint der<br />

Mensch wie bei Homer gelegentlich geradezu als Spielball der Götter, ist der Grausamkeit ihrer<br />

prämoralischen Machtäußerungen ausgesetzt, <strong>und</strong> Sophokles zeigt in besonders krasser Weise<br />

das Leid auch des Gerechten <strong>und</strong> Unschuldigen. 128 Aber dieser Realismus hindert ihn nicht (wie<br />

Euripides), hinter allem, was geschieht, das Wirken der Götter zu sehen <strong>und</strong> ihre Fügung gläubig<br />

anzuerkennen. So lautet etwa der letzte Vers der “Trachinierinnen”, nachdem die ahnungslose<br />

Deianeira ihren Mann Herakles mit dem Nessosgewand auf furchtbare Weise zu Tode gebracht<br />

<strong>und</strong> sich selbst das Leben genommen hat, als ihr Sohn Hyllos daraufhin Klage gegen die Götter<br />

erhebt: “Doch nichts ist in all dem, was nicht Zeus ist.” 129<br />

Gegen die Sophistik hat Sophokles immer wieder die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit des<br />

Menschen hervorgehoben <strong>und</strong> in dem berühmten Chorlied der Antigone 130 die Notwendigkeit der<br />

Einbindung des Menschen in die göttlichen <strong>und</strong> menschlichen Rechtsnormen gerade wegen<br />

seiner hochfliegenden Fähigkeiten betont. Ganz besonders ist er den wachsenden Zweifeln an den<br />

Orakeln entgegengetreten: Nachdem Iokaste im “Oidipus Tyrannos” gerade die Ungültigkeit der<br />

Orakel erkannt zu haben glaubte <strong>und</strong> angekündigt hatte, auf sie in Zukunft nicht mehr hören zu<br />

wollen, spricht vor ihrer Widerlegung durch die unmittlbar folgenden Ereignisse der Chor von<br />

den hochwandelnden, im Äther gezeugten Gesetzen, in denen Gott ist <strong>und</strong> nicht altert. Und er ruft<br />

diesen Gott als allbeherrschenden unsterblichen Zeus an, damit ihm der Frevel nicht verborgen<br />

127 Nestle II 1933, 84.<br />

128 Über die Frage der Schuld der sophokleischen Helden gibt es bis heute eine heftige Debatte (Literatur bei Latacz<br />

1993).<br />

129 Trach. 1278. Vgl. auch Aias 1036 ff. In fr. 895 P heißt es: “Die Würfel des Zeus fallen immer gut.” Und in fr. 843<br />

P findet sich die “goldene Regel” : “Was man lehren kann, lerne ich, was man finden kann, suche ich, worum man<br />

beten kann, darum bitte ich die Götter.”<br />

130 Antigone 332 ff, bes. 365 ff. Zu Sophokles’ Auseinandersetzung mit der Sophistik vgl. Nestle 1948; Ehrenberg<br />

1956, 195 ff. hebt Sophokles’ kritisch-ergänzende Position gegenüber Perikles hervor.

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