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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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58<br />

“Wenn Götter Böses tun, sind’ s keine Götter.” 121<br />

Mit seiner entschiedenen Kritik will Euripides jedoch nicht die Religion insgesamt, sondern nur<br />

bestimmte Erscheinungen treffen in der Absicht, sie zu reinigen <strong>und</strong> zu läutern. 122 So gibt es<br />

umgekehrt viele Stellen, an denen er positiv eine neue Theologie entfaltet: In eklektizistischer<br />

Anlehnung an verschiedene Thesen der ionischen Philosophie walten die Götter für ihn mal als<br />

unpersönliche, pantheistisch gedachte Macht in der Natur, mal sind sie eine Art Gesetzmäßigkeit<br />

oder Weltgesetz, mal regiert mit tu´xh der blinde Zufall. 123 Bezeichnend für das Suchen <strong>und</strong> die<br />

Zerissenheit ist das Gebet der Hekabe in den “Troerinnen”, wo Hekabe betet: “O Du, Stütze der<br />

Erde, der Du auf der Erde Wohnsitz hast, wer auch immer Du bist, unergründliches Rätsel, Zeus,<br />

ob unerbittliches Gesetz der Natur, ob Menschengeist, ich bete Dich an.” 124 Die Antwort macht<br />

eigens auf diese “neue Form des Betens” aufmerksam, die beim Volk von Athen auf breite<br />

Ablehnung stieß, <strong>und</strong> man versteht, warum Aristophanes 125 die entsprechenden Götter abfällig als<br />

“Privatgötter” (iädiw+teÓ qeoi´) bezeichnen konnte.<br />

Letzten Endes wollte oder konnte Euripides aufgr<strong>und</strong> seiner Einsicht in die Komplexität der Welt<br />

keine festen theologischen Antworten bieten, sich nicht für eine Norm entscheiden <strong>und</strong> daher<br />

auch nichts zur Lösung der Polisprobleme beitragen. Er setzte auf die rhetorisch durchgefeilte<br />

<strong>und</strong> psychologisch begründete Rede, die manchmal zu wahren Argumentationsschlachten sich<br />

ausweitet; doch sie führt zu keinem klaren Ziel, sondern endet in der ironischen Scheinlösung des<br />

deus ex machina oder findet Surrogate wie in der warmen Beschreibung menschlicher<br />

Fre<strong>und</strong>schaft oder einfacher <strong>und</strong> redlicher Menschen. “Seine Stücke reflektieren in ihrem<br />

eruptivem Auf <strong>und</strong> Ab die ganze leidenschaftliche Unruhe, aber auch die ganze denkerische<br />

Anstrengung <strong>und</strong> geistige Zerrissenheit des Intellektuellen. Er hat sich mit allen großen Fragen<br />

seiner Zeit selbstquälerisch herumgeschlagen, ... aber Lösungen hat er nicht gef<strong>und</strong>en. Das ist der<br />

Gr<strong>und</strong>, warum seine Stücke gegenüber den Tragödien des Aischylos <strong>und</strong> Sophokles einen so<br />

unerhört zwiespältigen Eindruck machen. Fast alle entließen offenbar schon sein Publikum - <strong>und</strong><br />

sie entlassen auch noch uns - ... nicht mit einem Gefühl der erschütterten Erhebung, sondern in<br />

einem Zustand nervöser Gespanntheit.” 126 So blieb er, der im Leben ein die Einsamkeit<br />

121<br />

Bell. fr. 292,7; ähnlich Iph. Taur. 391. Dagegen messen Aischylos (Choephoren 958 f.) <strong>und</strong> Sophokles die<br />

Sittlichkeit an der Religion: “Denn schlecht ist nichts, was Götter je befehlen.”(Soph. Thyest. fr. 247 P)<br />

122 Vgl. Hipp. 1102 ff., Hek. 488 ff., Hek. 958 f., Hel. 1137 ff.<br />

123 Vgl. Nestle II 1933, 123 ff.<br />

124 Troerinnen V. 884 ff.<br />

125 Frösche 889 ff.<br />

126 Latacz 1993, 253. S. 278 vergleicht er das Ziel des Euripides mit dem des Sokrates, durch immer neue Ansätze<br />

das Etablierte zu decouvrieren in der Hoffnung, durch Destruktion der Scheinwerte ein wahreres Dasein zu<br />

ermöglichen.

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