2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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ausgerichtet ist, müssen hier viele Personen auf ein Ganzes verpflichtet werden, das nirgendwo<br />
ist als zwischen <strong>und</strong> in ihnen. Wo dort das Interesse an der Ordnung mit dem des Monarchen zur<br />
Deckung kommt, muss hier eine starke Divergenz zwischen allgemeinen <strong>und</strong> individuellen<br />
Interessen aufgefangen werden.” Dazu musste nach Anwachsen der Spannungen neue Lösungen<br />
gef<strong>und</strong>en werden, musste auf Regeln <strong>und</strong> Institutionen reflektiert werden, “die unabhängig von<br />
den einzelnen in Konflikt geratenen Kräften arbeiten.” (106 f.)<br />
- Als sich die Schwierigkeiten um 600 verschärften, zog man neue Instanzen zu Rate: die<br />
Rechtsfeststeller (Zaleukos, Charondas), die “Wieder-ins-Lot-Bringer” (Solon), die “Sieben<br />
Weisen”; deren Intelligenz konnte von keiner Macht monopolisiert werden, im ganzen bewegten<br />
sie sich “in den Zwischenräumen der Mächte”. Sie schufen jetzt die Voraussetzung für die<br />
Mitwirkung breiterer Mächte in der Politik (die Beteiligung der Bauern als Hopliten an der<br />
Phalanx allein - schon 6-7 Generationen alt - genügte dafür nicht); dabei verfolgte man zunächst<br />
konkrete Ziele: Schuldenerlass, Wiedereinsetzung ins Eigentum, Landverteilung, wirtschaftliche<br />
Erleichterungen, Rechtssicherheit; dabei erhielten sie zunächst die Schützenhilfe von ehrgeizigen<br />
Adligen, die sie zu Tyrannen machten, <strong>und</strong> veränderten erst in einem langen Prozess der<br />
Sensibilisierung ihre politischen Ambitionen, mit dem Ziel “der Weckung von Ansprüchen, der<br />
Aufwertung abstrakterer, fernerliegender Interessen, der Ummünzung von Unzufriedenheit in<br />
politische Forderungen, des Bewusstwerdens von Solidarität, nicht zuletzt der Aufklärung, der<br />
Absicherung <strong>und</strong> Legitimation der neuen Ziele. Schließlich mussten Institutionen erdacht<br />
werden, die es möglich machten, den Einfluss breiter Schichten auf Dauer zu stellen.” (108)<br />
- Bei diesem Prozess spielte das Orakel von Delphi eine große Rolle, das insgesamt auf Einsicht<br />
statt auf Macht setzte, im Interesse der Ratsuchenden <strong>und</strong> auch im eigenen Interesse, doch ohne<br />
eigene politische Ziele zu erreichen zu wollen: “Es wurde kein Kern politischer Macht, sondern<br />
ein intellektuelles Zentrum religiöser Autorität.” (109) Insbesondere in der<br />
Kolonisationsbewegung waren die gut informierten “Männer von Delphi” wichtige<br />
Schaltstationen rationaler Suchbewegungen nach dem richtigen Weg. “Politisches Denken war<br />
bei den Griechen mit einem starken religiösen Realismus verb<strong>und</strong>en. Es war nicht zuletzt<br />
politische Theologie einer besonderen Prägung.” (ebd.) Delphi wurde zu einem wichtigen<br />
“geistigen Umschlagplatz” (110) der Zeit, stand in Kontakt auch mit den sieben Weisen <strong>und</strong> war<br />
als Kommunikationsbörse viel wichtiger als die sektenhaften Zusammentreffen der Pythagoreer:<br />
“Die in Delphi vermittelte, wenngleich nicht nur an Delphi geb<strong>und</strong>ene Kommunikation aber war<br />
die Vorbedingung für die Beschleunigung <strong>und</strong> Vervielfältigung der unter den Griechen erzielten<br />
Erkenntnisse, zugleich für die geistige Auseinandersetzung <strong>und</strong> die gegenseitige Vergewisserung,<br />
schließlich für die Autorität des griechischen Denkens. In ihr gewann die griechische Intelligenz<br />
ihren Rang, ihren Ort in der Gesellschaft, ihre Unabhängigkeit sowie ihre Eigenart.” (111) Dafür,<br />
dass sich eine “Diskussion mit bestimmten Standards” einstellte, ein “intellektuelles Ambiente