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2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg

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seiner Helfer zielt darauf ab, der Welt etwas von jener Vollkommenheit zurückzugeben, die sie<br />

im Ursprung besessen hat.” 148<br />

Entsprechend gibt es bei den Ägyptern keine “perspektivische” Datierung von einem Fixpunkt<br />

aus (wie z. B. die Olympische Ära oder die Datierung ab urbe condita) <strong>und</strong> keine Erfassung<br />

längerfristiger historischer Entwicklungen, sondern die Jahreszählung richtet sich nach den<br />

kleinbogigen Zyklen der Einzelregierungen, während Dekadenz- <strong>und</strong> auch Fortschrittsmodelle<br />

als großbogige Entwicklungstheorien den Ägyptern fremd sind. Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart<br />

sind nicht scharf getrennt, sondern als vorbildhaft bzw. nachbildend aufeinander bezogen: “Die<br />

Gegenwart findet ihre Bestätigung, Absicherung in der Vergangenheit, wo alles schon einmal da<br />

war, <strong>und</strong> die Vergangenheit reicht durch ihre stete Wiederholbarkeit unmittelbar in die<br />

Gegenwart herein.” 149 Die langen Listen der Königsnamen dienen ebenso wie (im privaten<br />

Bereich) die Ahnenreihen mit ihren gleichbleibenden Titeln der Einbindung der Gegenwart in die<br />

Vergangenheit, <strong>und</strong> sie beziehen ihre legitimatorische Kraft gerade nicht aus dem dynamischen<br />

Element des Auf <strong>und</strong> Ab, sondern aus der statischen Ruhe <strong>und</strong> gleichbleibenden Wiederkehr.<br />

Emma Brunner-Traut fasst zusammen: “Das Leben mit der Vergangenheit bedeutet für den<br />

Ägypter Wiederholung regelmäßigen Geschehens, die Zukunft Fortsetzung früherer<br />

Regelmäßigkeiten, aber nicht eine Kette erstmaliger Ereignisse. Zwar müssen in der Realität<br />

immer wieder aktuelle Entscheidungen getroffen werden, die sich nicht darauf beschränken<br />

lassen, Rollenträger in einem quasinaturnotwendigen Spielverlauf zu sein, doch ex post werden<br />

solche Seitensprünge möglichst zu einem Normverhalten stilisiert. Wo ägyptische Geschichte aus<br />

der Ma’at ausspringt - wie die beiden Zwischenzeiten, Fremdherrschaften <strong>und</strong> Amarnazeit-,<br />

werden sie aus dem offiziellen Geschichtsbild eliminiert, nichtnormgerechte Handlungen<br />

verfemt. ‘Gute’ Geschichte macht, wer Vorgegebenes vollzieht, nicht macht sie der, der frei<br />

entwirft <strong>und</strong> neu gestaltet.” 150<br />

148 Hornung 1992, 153.<br />

149 Ebd. 563 f.<br />

150 Brunner-Traut 1990, 107 f. J. Assmann macht (1996, 25 ff.) darauf aufmerksam, dass für die Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />

sich ein Volk Geschichte vorstellt <strong>und</strong> kulturell konstruiert, die Begriffe der linearen <strong>und</strong> zyklischen Zeit nicht als<br />

sich gegenseitig ausschließende Begriffe gebraucht werden dürfen. Jede Kultur benutzt demzufolge lineare <strong>und</strong><br />

zyklische Zeitbegriffe, hat “Orte der Erinnerung” <strong>und</strong> “Orte der Erneuerung”, linear-”heiße” <strong>und</strong> zyklisch-”kalte”<br />

Elemente, nach deren Wechselverhältnis zu fragen ist. Man muss dann für die altägyptische Kultur wohl von einer<br />

Dominanz des zyklischen Denkens über die linearen Elemente sprechen oder umgekehrt von einer In-Dienst-<br />

Stellung der linearen Erinnerung für zyklisch vorgestellte Prozesse. Die dynastische Struktur des ägyptischen Staates<br />

z. B. konstruiert gerade durch ihre linearen Elemente Dauer, die den Bezug auf Vergangenes ermöglichen, als wäre<br />

es nie vergangen: “Das Alte blieb immer als Modell gegenwärtig, es wurde nie fremd im Sinne des Überw<strong>und</strong>enen<br />

oder des Uneinholbaren <strong>und</strong> Unwiederbringlichen. Man konnte immer daran anknüpfen. Könige konnten die<br />

Denkmäler der Vergangenheit kopieren oder einfach übernehmen, indem sie ihre Namen daraufschrieben. Das<br />

Vergangene hatte Modellcharakter: es war kopierbar, übernehmbar <strong>und</strong> fortschreibbar.” (ebd. 34) Die kulturell<br />

konstruierte Abblendung der Veränderung zugunsten der Kontinuität über fast 3000 Jahre ist so gesehen eine<br />

bemerkenswerte kulturelle Leistung <strong>und</strong> Identitätsbildung der Ägypter - <strong>und</strong> war doch aus dieser Stärke heraus dem

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