2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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angesehen zu haben - ähnlich wie in der vorsokratischen Philosophie. Aus der vergleichenden<br />
Erinnerung an die verblasste Macht <strong>und</strong> Größe des Heroenzeitalters konnte in Anbetracht der<br />
inzwischen aufgetretenen Macht der orientalischen Reiche <strong>und</strong> des Perserreiches die Reflexion<br />
auf die Ursachen dieser Veränderung einsetzen. Das ist neu im Vergleich zu Homer (aiötioÓ<br />
bedeutet bei ihm “schuldig”) <strong>und</strong> hängt mit dem im Individualisierungsprozess entwickelten<br />
Verantwortungsdenken zusammen, wie es etwa bei Solon in der Eunomia-Elegie besonders<br />
ausgeprägt ist. Snell fasst zusammen: “Die Griechen haben ihr GeschichtsBewusstsein<br />
gewonnen, da sie glaubten, nach einer Zeit des Glanzes hätten sie eine dunkle Zeit der Strafe zu<br />
durchleben gehabt. So lernten sie, dass man sich vor Hybris hüten muss; das Grauen vor der<br />
unheimlichen Macht der rächenden Götter lehrte die Sophrosyne, die kluge Bescheidenheit, die<br />
eine besondere griechische Tugend werden sollte. ... Solon zieht im eigenen politischen Tun<br />
Konsequenzen daraus: er versucht gleichsam, das metaphysische Geschehen in menschliche<br />
Hände zu bekommen, geschehene Gewalttat zu strafen <strong>und</strong> damit weiter Untaten zu verhindern;<br />
ja, mehr noch: er will positiv das Recht durchführen in einer Ordnung des Staates, im Ausgleich<br />
des Besitzes, in der Sorge um die Benachteiligten, gegen den Missbrauch der Macht; seine<br />
Nomoi sollen das für die Zukunft sichern. Damit setzt er ein neues Maß für sinnvolles politisches<br />
Handeln.” 163<br />
Während bei Solon die menschliche Mitverantwortung für die Geschichte neu hervortritt, kann<br />
man bei Herodot, den Cicero den “Vater der Geschichte” (leg. I, 5) nennt, <strong>und</strong> Thukydides eine<br />
fortschreitende Rationalisierung des Geschichtsverständnisses erkennen. Während für Herodot<br />
das Göttliche sich immer wieder durch Träume <strong>und</strong> Orakel zu erkennen gibt <strong>und</strong> vielfach in die<br />
Geschichte hineinwirkt - zielgerichtet in seiner Lehre vom Neid der Götter (fqo´noÓ qew+n oder<br />
qei+on fqonero´n), die entweder das Herausragende niederwerfen (VII 10) oder menschliche uÖbriÓ<br />
bestrafen, manchmal aber auch blindlings-verwirrend (taraxw+deÓ) zuschlagen - schrumpft dieser<br />
Bereich bei Thukydides zum irrationalen Rest der tu´xh, auf die menschliches Planen (gnw´mh)<br />
keinen Einfluss hat. Man könnte hier fortfahren: Herodot schreibt breit angelegt, in universalem<br />
Zugriff Griechen wie Nicht-Griechen “in gleicher Weise” (I 5, 4) als zeitlichen Veränderungen<br />
unterworfene Menschen erfassend; er schreibt mit breit angelegten ethnographischen <strong>und</strong><br />
geographischen Exkursen über den weltgeschichtlichen Gegensatz von Griechen <strong>und</strong> Persern,<br />
Europa <strong>und</strong> Asien, fragt zuerst nach den Ursachen des Geschehens (di ä h?n aiäti´hn) , betreibt<br />
eigene Forschung durch Autopsie, unterscheidet zwischen mehr oder weniger glaubwürdige<br />
Quellen <strong>und</strong> ist bei der Darbietung unterschiedlicher Überlieferungen <strong>und</strong> Erklärungen um<br />
Objektivität <strong>und</strong> historische Wahrheit bemüht (VII 152, 3) - Thukydides verengt seinen Blick auf<br />
die politisch-militärische Geschichte eines überschaubaren Zeitraums, unterscheidet erstmals<br />
163 Snell 4 1975, 146 f.