2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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Menschen in gegenseitiger Achtung leben. Worauf es ankommt, ist allein die ununterbrochene<br />
sorgfältige Beachtung der Vorschriften, der unausgesetzte Dienst an den Göttern. Vom König<br />
wird nichts weiter erwartet, als dass er die materielle Gr<strong>und</strong>lage dieses Dienstes sicherstellt,<br />
durch Tempelbau <strong>und</strong> Opferstiftungen.” (427) Im Kontext seiner Lebenserfahrung unter den<br />
Fremdherrschern mauert sich der Ägypter der Spätzeit sozusagen ein hinter den symbolischen<br />
Mauern seiner Religion, die erst jetzt - in nostalgischer Sehnsucht nach dem Einst des Goldenen<br />
Zeitalters, in apokalyptischer Angst vor dem Ende der Kulte <strong>und</strong> d.h. dem Ende der Welt <strong>und</strong> in<br />
der kompensatorisch die Überbrückung der Zeiten intendierenden Intensivierung der Kulte -<br />
Ansätze zu einer Trennung von Staat <strong>und</strong> König zeigt, insofern der König weniger als je zuvor im<br />
Blick ist. Erst die ptolemäischen Herrscher erwecken die pharaonische Staatsidee in veränderter<br />
Gestalt zu neuem Leben <strong>und</strong> verhelfen ihr indirekt (über die Ideologie des römische<br />
Kaiserreiches) zu erheblicher Nachwirkung.<br />
Trotz aller dieser Entwicklungen <strong>und</strong> Gedankenarbeit im Bereich des “Politischen” ist<br />
festzuhalten, dass die Ägypter auch hier letzten Endes im Banne der monistisch-inklusiven<br />
Ma’at-Konzeption blieben <strong>und</strong> daher keine Möglichkeit suchten, die Form ihrer gesellschaftlichstaatlichen<br />
Organisation gr<strong>und</strong>legend zu bedenken oder gar zu ändern. Eine Trennung der<br />
Bereiche von Kosmos <strong>und</strong> “politischer” Wirklichkeit oder von Religion <strong>und</strong> Staat fand nicht statt,<br />
das Modell ritueller Kohärenz erlaubte kein gr<strong>und</strong>sätzliches Neubedenken der Gesamtsituation<br />
oder Abtrennen einzelner Gegenstandsbereiche des Denkens. Der Doppelsinn des Hierarchischen<br />
von “heiliger Herrschaftsordnung” <strong>und</strong> daraus im ägyptischen Denken organisch sich<br />
entwickelnder pyramidaler Gesellschaftsstruktur blieb bis ans Ende der ägyptischen Geschichte<br />
erhalten.<br />
Ganz anders die Situation bei den Griechen, deren politisches Denken vielleicht noch stärker als<br />
ihr philosophisches Denken bis heute weltweit gewirkt hat, weil es die früheste <strong>und</strong> auch im<br />
weltweiten Maßstab entscheidende Quelle für die Begriffe <strong>und</strong> Paradigmen der aktuellen<br />
politischen Diskurse darstellt. Da sich im politischen Denken der Griechen auch die Auswirkungen<br />
der bisher untersuchten Jaspers’schen Kategorien in gebündelter Form <strong>und</strong> in zahlreichen<br />
Wechselwirkungen zeigen, gebe ich zunächst im Anschluss an die Untersuchungen von Christian<br />
Meier eine Skizze der “Entstehung des Politischen bei den Griechen”, komme dann vergleichend<br />
auf die gr<strong>und</strong>sätzlichen Unterschiede <strong>und</strong> versuche zum Schluss anhand der atti-schen Tragödie<br />
exemplarisch einen Eindruck davon zu geben, wie das politische, reflexiv-partizipatorische<br />
Denken in Griechenland im neu konstituierten öffentlichen Raum funktionieren konnte. 190<br />
190 Vgl. vor allem die Arbeiten von Christian Meier 4 1981, 1982, 1987, 1988, <strong>und</strong> 3 1995 sowie von Kinzl 1995 mit<br />
weiterer Literatur.