2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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Land als die Welt schlechthin sieht, teilt sich auch dem Zeitbegriff <strong>und</strong> der Geschichtsauffassung<br />
mit. Geschichtliche Ereignisse stehen nicht in linearer Abfolge, sondern im Kreislauf zyklischer<br />
Wiederholbarkeit. Geschehenes kann jederzeit wieder geschehen, <strong>und</strong> Geschehendes ist irgendwann<br />
schon einmal geschehen, <strong>und</strong> sei es ‘zur Zeit der Götter’ oder ‘zur Zeit der Vorfahren’.” 143<br />
Umgeben von den Zeugnissen seiner großen Vergangenheit, die allen seinen Sinnen unmittelbar<br />
zugänglich sind oder - in Form der alten Texte - in Schule <strong>und</strong> Erziehung ihm nahegebracht<br />
werden, gewinnt er den Eindruck uralt-ewiger Tradition seines Lebens: “Ein selbstverständliches<br />
mit-der-Vergangenheit-leben läßt den Ägypter den Geschichtsablauf nicht als eine Kette kausaler<br />
Verknüpfungen sehen, sondern als eine Folge <strong>und</strong> Wiederholung von Regelmäßigkeiten. Die<br />
Stellung des Ägypters zur Geschichte ist nicht zu trennen von seiner Stellung zur Natur, ja<br />
Geschichte ist für ihn ein Naturereignis, <strong>und</strong> seine Geschichte konzentriert sich auf die<br />
Aufdeckung <strong>und</strong> den Nachvollzug von Gesetzmäßigkeiten, setzt Regelmäßigkeit an die Stelle<br />
von Erst- <strong>und</strong> Einmaligkeit. ... Seine eigene Rolle in der Geschichte ist nicht die des freien,<br />
gestaltenden Individuums, sondern die des in einen von der Maat bestimmten Weltplan<br />
eingespannten ‘Schauspielers’ “ <strong>und</strong> “so kommt dem Menschen in der ägyptischen Geschichte<br />
lediglich die Rolle des Vollziehers dieser Gesetzmäßigkeiten zu.” 144 Erik Hornung hat für diese<br />
Geschichtsvorstellung der rituellen Wiederkehr <strong>und</strong> Feier des Augenblicks das schöne Wort von<br />
“Geschichte als Fest” geprägt 145 . Das monistisch-inklusive Ma’at-Konzept bestimmt also nicht<br />
nur die Struktur der Rationalität, Individualität <strong>und</strong> Kommunikabilität, sondern auch die<br />
altägyptische Historizität. Das mag an einigen Beispielen erhellt werden.<br />
Eine ägyptische Geschichtsschreibung im abendländischen Verständnis von Forschung <strong>und</strong><br />
Bericht über besondere Geschehnisse <strong>und</strong> ihren Zusammenhang mit anderen besonderen<br />
Geschehnissen gibt es in der altägyptischen Literatur nicht. Die sogenannte Annalistik reiht<br />
additiv <strong>und</strong> ohne kausale Verknüpfung Einzelereignisse aneinander, ohne das Besondere,<br />
Neuartige oder Einmalige hervorzuheben. Sie berichtet in erster Linie von Ritualhandlungen wie<br />
religiösen Festen, Opferstiftungen <strong>und</strong> Tempelbauten oder der - ebenfalls als Ritual gedachten! -<br />
Besiegung barbarischer Volksstämme an den Grenzen, weil die Welt in Gang gehalten <strong>und</strong> die<br />
Ma’at als allumfassende (prozessual gedachte) Ordnung der Welt bestätigt <strong>und</strong> bewahrt werden<br />
muss. Dieses Prinzip des Zyklischen geht so weit, dass der Pharao (in der seit der Narmer-Palette<br />
bekannten bildlichen Darstellung mit erhobener Keule) auch dann als Sieger über seine Feinde<br />
143 Wildung 1977, 560.<br />
144 Ebd. 561. Vgl. zu der Wechselbeziehung mit dem Kosmos-Denken auch J. Assmann 1990, 197: “Der ägyptische<br />
Kosmos ist ein Prozess, aber kein Progress: Er bewegt sich nicht auf ein Ziel zu, das in der endgültigen Überwindung<br />
des Bösen besteht. Er ist eine in sich kreisende Bewegung. Aber er ist ein Prozess im Doppelsinn des Wortes:<br />
‘Vorgang’ <strong>und</strong> ‘(gerichtliche) Auseinandersetzung’. Die Anwesenheit des Bösen in der Welt, die ‘Gespaltenheit’ <strong>und</strong><br />
Ambiguität der Welt ruft ihn überhaupt erst hervor.”<br />
145 Vgl. Hornung 1966.