2. Ma'at und Logos. - Vergleichende - Dittmer, Jörg
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erscheint, wenn dies in unseren Augen den realen historischen Tatsachen widerspricht, <strong>und</strong> dass<br />
ihm (oder auch vornehmen Privatleuten) bestimmte Vollzüge als “Standardereignisse” im Sinne<br />
einer auf das Typische zielenden Idealbiographie zugeschrieben werden, auch wenn er sie gar<br />
nicht erlebt oder vollzogen hat. Umgekehrt erscheinen der Ordnung widersprechende<br />
Begebenheiten wie Seuchen, Niederlagen, Aufstände, Fremdherrschaft oder Königsmord nicht in<br />
den Annalen, auch wenn sie geschehen sind, weil sie der Ma’at widersprechen, <strong>und</strong> wir erfahren<br />
in der Regel nur indirekt von ihnen aus den Berichten über die Wiederherstellung der Ordnung.<br />
Relevant für die Darstellung der Geschichte ist also gerade nicht das Erstmalige <strong>und</strong> Einmalige,<br />
sondern das Wiederkehrende <strong>und</strong> Wiederholbare, nicht das Individuell-Persönliche, sondern das<br />
Amtlich-Institutionelle, nicht die Evolution des Geschehens, sondern seine Kontinuität.<br />
Wahrer der Kontinuität als Bewahrer <strong>und</strong> Erneuerer der Ma’at ist in erster Linie der König, <strong>und</strong><br />
so steht der König auch im Mittelpunkt des ägyptischen Verständnisses von Geschichte: “Analog<br />
dem täglichen <strong>und</strong> jährlichen Zyklus der das Leben im Niltal bestimmenden Naturerscheinungen<br />
ist auch der langfristige Zeitablauf der Geschichte in sich wiederholende Abschnitte gegliedert, in<br />
die Regierungen der Könige. Geschichte manifestiert sich offiziell ausschließlich in den<br />
Aktivitäten der Institution des Königtums, die in der Gestalt des jeweils regierenden Herrschers<br />
frei werden. Er vollzieht in seiner Herrschaft den großen Ablauf des Weltgeschehens nach:<br />
Thronbesteigung <strong>und</strong> Schöpfung, Herrschaftsausübung <strong>und</strong> funktionierender Kosmos, Tod <strong>und</strong><br />
Wiederkehr des Urchaos (Weltende) sind die Begriffspaare, die jede Königsherrschaft zum<br />
Weltmodell machen. In diesem Vorstellungskreis bleibt kein Raum für regierungsübergreifende<br />
historische Entwicklungs- <strong>und</strong> Spannungsbögen; die Welt kommt gewissermaßen mit jedem<br />
Regierungsende kurzzeitig zum Stillstand, um erst mit der Thronbesteigung des Nachfolgers<br />
einen neuen Schöpfungstag zu erfahren. Die Summe solcher in sich geschlossener Zeitkreise läßt<br />
zwar aus sich überlagernden Zeiteineiten zeitliche Tiefe, nicht aber eine lineare zeitliche<br />
Entwicklung entstehen. ... So weiß der Ägypter zwar wohl von der zeitlichen Entfernung längst<br />
vergangener Ereignisse, aber in ihrem Wesen sind diese Ereignisse der Gegenwart so nahe wie<br />
der eben vergangene Augenblick. Der eigene historische Standort wird nicht von der Tiefe dieser<br />
geschichtlichen Dimensionen geprägt, sondern vom Vertrauen in die unbeirrbare Wiederholung<br />
<strong>und</strong> Wiederholbarkeit allen Geschehens.” 146 Insofern der König modellgemäß die Ma’at<br />
konkretisiert, sich an ihre früheren Muster anschließt <strong>und</strong> dadurch “das Bestehende erweitert”<br />
wie die Tempelbauten seiner Vorgänger, steht er gewissermaßen “mit dem Rücken zur<br />
Zukunft” 147 <strong>und</strong> richtet seinen Blick in die Vergangenheit, deren periodische Erneuerung seine<br />
Aufgabe darstellt als Emanation des Gottes Horus. “Das geschichtliche Wirken Pharaos <strong>und</strong><br />
146 Wildung 1977a, 562 f.<br />
147 Brunner-Traut 1990, 103.