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Null Bock auf Schule: Kampe/Rademacker/Thünken/Göbel Von daher erscheinen außerschulische Bildungsorte eher geeignet, aktive Schulverweigerer für regelmäßiges organisiertes Lernen zu motivieren. Das Ziel einer Reintegration gelingt unserer Einschätzung nach in den wenigsten Fällen. Mir liegen Angaben aus dem Rheinland vor, die hier eine Zahl von nicht mehr als fünf Prozent nennen. Wir müssen also unser Augenmerk darauf richten, dass wir es hier mit Jugendlichen zu tun haben, die der Schule als Ort des Lebens, Lernens und der Gemeinschaft dauerhaft ihre Aufmerksamkeit entzogen haben. Wenn davon die Rede ist, dass die Reintegration der Schulverweigerer ein gemeinsames Anliegen von Schule und Jugendhilfe ist, dann geht es bei dieser Diskussion letztendlich auch immer um die Frage der finanziellen Ausstattung und wer bezahlt. Was ich nie verstanden habe, ist, weshalb die Jugendhilfe solche Maßnahmen bezahlt, wenn es eine Schulpflicht gibt. Im Grunde genommen müsste alle Ausstattung, alle Lehrer und die Gebäude der Reintegrationsmaßnahmen vom Schulministerium bezahlt werden. Zurzeit ist es leider so, dass wir von der Jugendhilfe zahlen müssen. Wenn wir die Gründe für Schulverweigerung anschauen, dann ist inzwischen empirisch gesichert, dass die ersten Tendenzen einer Schulmüdigkeit sich mit dem 11., 12. Lebensjahr ausmachen lassen. 59 Prozent der Jugendlichen geben als Grund für ihr Fernbleiben von der Schule massive Konflikte mit dem Lehrer an. Das hat das Deutsche Jugendinstitut herausbekommen. 39 Prozent nennen schlechte Leistungen. Das will ich einmal so stehen lassen. Sicher haben wir es hier auch mit einer Klientel zu tun, die wenig Frustrationstoleranz hat und dann aufgrund dieser Konfliktlage zunehmend der Schule den Rücken kehrt. Das, was hier als Begründung ins Gespräch gebracht wurde, die traurigen Zukunftsaussichten, ist doch ein generelles Problem. In unserer heutigen Gesellschaft funktioniert der Generationenvertrag eben nicht mehr.Wir hatten zumindest in den Goldenen Zwanzigerjahren des Kapitalismus die Übereinkunft zwischen den Generationen. Die Eltern haben als Maxime an die Kinder weitergegeben: Streng dich an, dann geht es dir besser als uns. Das funktioniert nicht mehr als Motivation. Das ist das Erste. Das Zweite ist, dass wir bei den ersten Schulmüdenversuchen in NRW, die wir mit Herrn Thünken und anderen in einer gewissen Vorreiterrolle begonnen haben, mit unserer Arbeit beim 6., 7. Schuljahr angesetzt haben. Denn es hat keinen Zweck, Jugendliche im letzten Schuljahr motivieren zu wollen, bei denen sich bereits eine manifeste Schulverweigerung mit zwei, drei Jahren Abwesenheit aus der Schule verfestigt hat. Wir müssen früher anfangen, und da wünsche ich mir, dass die Schule für diese Klientel eine Auffangstation bildet, Maßnahmen mit uns entwickelt, um das Abgleiten in die Schulverweigerung zu verhindern. Das Schwierige dabei ist doch, dass Schulen Systeme sind, und Systeme funktionieren nur, weil dort Menschen sind. Wenn ich als Lehrer vor einer Klasse mit 25 bis 30 Schülern stehe und zwei Rabauken darin habe, die mir den Unterricht zunehmend schwierig machen, dann bin ich eigentlich ganz froh, wenn die beiden weg sind, und ich laufe ihnen nicht hinterher und sage, sie sollten bitte wiederkommen. Wenn ich hier von außerschulischen Lernorten gesprochen habe, dann denke ich an eine Kooperation mit der Schule. Wir haben Lehrpersonal, das dort den schulischen Unterricht macht. Wir wissen nur aus unserer Erfahrung, dass wir bestimmte Jugendliche nicht mehr dazu bewegen können, ein Schulgebäude zu betreten. Wenn ich denen sage, du musst wieder in die Schule gehen, dort kannst du auch am Werkunterricht teilnehmen, und dann antworten sie mir: „Da gehe ich nicht mehr hin.“ Natürlich gibt es auch strukturelle Differenzen zwischen Lehrern und Sozialarbeitern. Der eine wird nach A 14 oder A 13 bezahlt und der andere nach A 9. Wenn der Hauptleistungsmotivator in dieser Gesellschaft automatisch das Geld ist, dann trennt das natürlich. Trotzdem kann ich Ihnen tausend Beispiele nennen, wo die Zusammenarbeit funktioniert. Als wir 1994/95 mit dem ersten Modellversuch Schulmüdigkeit angefangen haben, hatten wir ganz viele Schwierigkeiten zu überwinden. Heute können wir in NRW 3000 Plätze anbieten. Der Bedarf, wenngleich er sich schwer schätzen lässt, je nachdem, wen man hinzurechnet, beläuft sich ungefähr auf 30 000. Man kann sagen, das sind 27 000 zu viel. Doch es gibt zumindest 3000 Plätze, wo das, was wir beide administeriell verkörpern, im Grunde genommen sehr gut läuft. Es gibt immer gewisse Schwierigkeiten, doch es läuft. Vor allem möchte ich vor den Leuten, die an diesen Projekten mitarbeiten und mit denen ich mehrere Praktika gemacht habe, den Hut ziehen, denn die arbeiten im Grunde genommen mit einer Klientel, die keiner so richtig will. Weder die Schule noch die Jugendhilfe. Denn das sind keine lieben Jugendlichen, die sozusagen als subversive Strategie den Unterricht ein bisschen schwänzen, um sich den Leistungen der Schule zu entziehen, sondern das sind ganz schön schwierige junge Menschen. Mit denen zu arbeiten, das ist kein Zuckerschlecken. Sie müssen erst einmal Pädagogen und Lehrer finden, die sich das tagtäglich antun wollen. Dass wir dennoch für 3000 Jugendliche einen Platz haben mit sehr motiviertem Personal, finde ich einen guten Anfang. 121
Bildung entwaffnet – Strategien zur Krisenprävention Bildung ist der wichtigste Ansatz für eine konfliktarme Gesellschaft. Wo und wie kann Friedenspädagogik umgesetzt werden: in Schulen, in Lehrplänen, beim Lehrertraining, bei der Gestaltung von Schulmaterialien und kulturellen Veranstaltungen? Auf dem Podium trafen sich Renate Grasse, Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, Dr. Sara Jerop Ruto, Erziehungswissenschaftlerin aus Nairobi, Kenia, Dr. Carlos Felipe Revollo Fernández, Experte für Bildungsförderung indigener Bevölkerungsgruppen aus La Paz, Bolivien, und Professor Dr. Volker Lenhart, Erziehungswissenschaftler an der Universität Heidelberg, und diskutierten darüber, welche Wege in einer gemeinsamen Welt gangbar sind. Moderation: Dr. Hanns Sylvester, Leiter der Gruppe Entwicklungszusammenarbeit im DAAD Renate Grasse Renate Grasse, geb. 1952, Lehramtsstudium 1972-75 in München. 1973-79 Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie in München. Seit 1976 Mitarbeit in der AG Friedenspädagogik e. V.; Mitarbeit in einer kommunalen AG zur Förderung von Kinder- und Jugendpartizipation. Aktiv in einem fachlichen Austauschprogramm mit Kolleginnen und Kollegen in Kiew 1989-96, mit St. Petersburg seit 2000. Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e. V. in München. Sara Jerop Ruto Sara Jerop Ruto, Dr., geb. 1967. Studium der Erziehungswissenschaften an der Kenyatta University in Nairobi. Dort 1990 Bachelor of Education, 1996 Master of Education. 2004 Promotion an der Universität Heidelberg. 1990-91 Lehrerin für englische Sprache und Literatur. 1994-95 am Kilimambogo Teachers College tätig. Seit 1996 Dozentin für vergleichende und internationale Erziehungswissenschaft und Geschichte der Erziehungswissenschaft an der Kenyatta University. 1998 Forschungsprojekt für das Institute of Policy Analysis Research (IPAR). Arbeitsschwerpunkte: Vergleichende und internationale Erziehungswissenschaft, Geschichte der Erziehung, Gender-Studien. STATEMENT Renate Grasse Bildung kann entwaffnen 1. Wir möchten, dass unsere Kinder und Jugendlichen Gewaltfreiheit lernen. Mit dieser Bitte treten die Leitungen von Jugendzentren oder von Kindereinrichtungen, aber auch Lehrer und Lehrerinnen und Elternbeiräte an Institute und andere Einrichtungen heran, die zivile Konfliktbearbeitung, Zivilcourage oder Friedenspädagogik „anbieten“. 2. Es hat sich in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren ein gut bestücktes Methodenrepertoire entwickelt, vor allem was das Erlernen von Konfliktkompetenz für Kinder und Jugendliche 122
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