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Bild - Verband Bildungsmedien eV

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Zum Glück haben wir eine deutlich längere Schulpflicht – über<br />

die dritte Klasse hinaus. Und auch in den höheren Klassen geht<br />

es immer noch um die Schrift: um die Ausweitung der Lese- und<br />

Schreibfähigkeiten. Ein Kompetenzniveau, wie es in der dritten<br />

Klasse erreicht wird, kann vielleicht als das unterste Niveau (für<br />

Erwachsene) akzeptiert werden. Wenn Deutschland eine Wissensgesellschaft<br />

sein will und im globalen Wettbewerb bestehen<br />

will, können wir es uns aber sicherlich nicht leisten, dass<br />

mindestens vier Millionen Erwachsene höchstens so gut lesen<br />

und schreiben können wie Drittklässler.<br />

Erhebungen bei Rekruten haben schon Ende des 19. Jahrhunderts<br />

ergeben, dass es kaum „totale“ Analphabeten gibt – fast<br />

alle konnten mit ihrem Namen unterschreiben. Damit schien<br />

das Problem des Analphabetismus durch die Einführung der<br />

Schulpflicht im deutschsprachigen Raum gelöst zu sein. Damals<br />

galt die Signierfähigkeit als Ausweis von Literarität. Heutzutage<br />

sind deutlich höhere Lese- und Schreibfähigkeiten erforderlich,<br />

um in der Gesellschaft zu bestehen. Letztlich entscheiden<br />

die gesellschaftlichen Anforderungen darüber, wie gut man<br />

lesen und schreiben können muss – im privaten Bereich, aber<br />

auch im beruflichen Leben. Man muss allerdings nicht nur diesen<br />

Anforderungen gerecht werden. Ebenso wichtig ist es, in<br />

der Lage zu sein, die Lese- und Schreibkenntnisse so einzusetzen,<br />

dass die eigenen Interessen verfolgt werden können.<br />

Wer als Erwachsener so gut lesen und schreiben kann wie üblicherweise<br />

ein Kind in der dritten Klasse, der ist meines Erachtens<br />

gerade so alphabetisiert. Wer diese Kompetenzstufe<br />

erreicht hat, kann in vielen Kontexten schriftsprachlich agieren.<br />

Die Lesekompetenz reicht aus, um leichte Texte zu verstehen.<br />

Fremdwörter oder englischsprachige Begriffe sowie komplizierte<br />

Satzkonstruktionen werden allerdings nicht verstanden.<br />

Die Schreibkompetenz reicht aus, um viele häufige Wörter<br />

richtig zu notieren.Auf Satz- und Textebene gelingt es, sich verständlich<br />

auszudrücken. Gleichwohl werden viele Wörter noch<br />

nicht orthografisch korrekt notiert.<br />

Abb.: Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.<br />

Funktionaler Analphabetismus ist ein gesellschaftliches Problem<br />

und damit eine gesellschaftliche Herausforderung. Funktionaler<br />

Analphabetismus ist darüber hinaus auch ein individuelles<br />

Problem für die Betroffenen. Sie können nicht gleichberechtigt<br />

an unserer Gesellschaft teilhaben. Sie können ihre Probleme<br />

mit der Schrift aber auch nicht offen ansprechen. Wer<br />

nur geringe Lese- und Schreibkenntnisse hat, darf nicht auffallen.<br />

Wer Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hat, gilt als<br />

dumm. Und wer will schon gerne als dumm hingestellt werden?<br />

Deshalb ist funktionaler Analphabetismus in Deutschland<br />

immer noch ein verdecktes Problem. Die Betroffenen setzen<br />

sich beispielsweise nicht für ein Recht auf Lesen und Schreiben<br />

im Erwachsenenalter ein. Dass unzureichende Lese- und<br />

Schreibkenntnisse immer noch ein Tabuthema sind, wird auch<br />

an der Tatsache deutlich, dass es in Deutschland lediglich zwei<br />

Selbsthilfegruppen von Betroffenen gibt.<br />

In den Alphabetisierungskursen lernen viele Erwachsene, die<br />

einen Beruf ausüben. Sie nutzen die Chance, an der Volkshochschule<br />

zweimal in der Woche nach der Arbeit einen Lese- und<br />

Schreibkurs zu besuchen. Sie spüren, dass die Anforderungen in<br />

der Arbeitswelt steigen. Durch den Kursbesuch wollen sie ihre<br />

Kenntnisse erweitern – und so ihren Arbeitsplatz sichern.<br />

In den Alphabetisierungskursen gibt es aber auch viele Arbeitslose,<br />

für die meistens kein intensiveres Lernangebot zur Verfügung<br />

steht. Die Einrichtungen der Erwachsenenbildung sind<br />

nicht in der Lage, ein derartiges Kursangebot zu finanzieren,<br />

und die Arbeitsverwaltung ist vor allem für die berufliche Qualifizierung<br />

zuständig. Für die Alphabetisierung von Migrantinnen<br />

und Migranten gibt es seit Kurzem im Rahmen der vom<br />

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanzierten Integrationskurse<br />

Lernmöglichkeiten. Für deutsche Erwachsene<br />

besteht jedoch nach wie vor dringender Handlungsbedarf.<br />

Unser Ziel muss sein, dass alle, die lesen und schreiben lernen<br />

wollen, auch im Erwachsenenalter eine Chance dazu haben. Im<br />

Moment gibt es im Bundesdurchschnitt 30 Alphabetisierungskurse<br />

an Volkshochschulen pro eine Million Einwohner. Es gibt<br />

Bundesländer mit 80 Kursen, aber auch Bundesländer, die nur<br />

drei Kurse pro eine Million Einwohner anbieten. Die Chancen<br />

zum Lesen- und Schreibenlernen für Erwachsene dürfen aber<br />

nicht davon abhängen, in welchem Bundesland man lebt. Alle<br />

Menschen in Deutschland haben ein Recht auf Grundbildung!<br />

Wir müssen ihnen die Möglichkeit eröffnen, in erreichbarer<br />

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