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Bild - Verband Bildungsmedien eV

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Zu dumm oder nicht gefördert? Haussmann/Süssmuth/Hüther/Hubertus<br />

STATEMENT<br />

Rita Süssmuth<br />

Heute sind weniger Elternhäuser in der Lage, etwas für die Förderung<br />

ihrer Kinder zu tun, als das früher der Fall war. Wir dürfen<br />

allerdings auch nicht vergessen, dass sich die Anforderungen<br />

an <strong>Bild</strong>ungsförderung nicht nur etwas, sondern einschneidend<br />

verändert haben. Der ständige Streit darum, ob das Kind<br />

zur Mutter gehört oder ob – familienergänzend – es auch in<br />

anderer Obhut gedeihen kann, ist nichts anderes als ein Störmanöver,<br />

das uns aber in der Sache nicht weiterbringt. Im<br />

Gegenteil, wir müssten die Eltern mit einbeziehen. Die besten<br />

Schulen in der Bundesrepublik, die mit Preisen ausgezeichnet<br />

wurden, beziehen das Elternhaus fest in ihre Arbeit mit ein, ja<br />

machen dies sogar zur Verpflichtung. Das heißt, Eltern und Kinder<br />

bekommen so eine Chance, weil Kindes- und Elternwohl<br />

zusammengehören.<br />

Aber wir haben diese gesamte Debatte in der zweiten Hälfte der<br />

1960er-Jahre, nach dem Sputnik-Schock, ja schon einmal<br />

geführt und haben eine Zeit lang gemeint, die Kinder müssten<br />

viel mehr lernen, wir müssten diese Phase nutzen. Und dann<br />

haben wir das Thema wieder aufgegeben, fanden es nicht mehr<br />

dringlich und notwendig. Wenn ich jetzt etwas zu den Gründen<br />

sage, die uns in das heutige Dilemma geführt haben, sehe ich<br />

vor allem zwei Gründe: Zum einen, dass wir, im Unterschied zu<br />

Finnland, immer weniger individualisiert haben. Wir gehen in<br />

aller Regel mit einer Methode des Lesens und Schreibens für alle<br />

in unsere Unterrichtsklasse, und wer für diese Methode geeignet<br />

ist, der kommt mit, alle anderen nicht. In Finnland individualisiert<br />

man dagegen sehr stark, lässt sich viel Zeit für das<br />

einzelne Kind. Darüber reden wir inzwischen auch, aber gehen<br />

Sie einmal in die Schulen und sehen Sie sich an, wie viel Zeit<br />

die Lehrkräfte dafür zur Verfügung haben, selbst wenn sie<br />

bester Absicht sind. Das ist der eine Punkt.<br />

größer. Also brauche ich für <strong>Bild</strong>ungsbenachteiligte einen weitaus<br />

höheren Einsatz als denjenigen, den wir bisher leisten.<br />

Wenn wir einmal nach England schauen, nach Finnland, nach<br />

Kanada, dann kommen wir nicht darum herum, mehr zu tun.<br />

Wir müssen aber auch sehen, dass es einen Personenkreis gibt,<br />

der sich zwar in der Schule von diesem formellen Lernen abgemeldet<br />

hat, der aber irgendwann wieder ansprechbar ist. Das,<br />

was wir nachholende <strong>Bild</strong>ung nennen, ist von großer Bedeutung.<br />

Denn es gibt inzwischen eine große Zahl von Menschen,<br />

wobei der Anteil der jungen Männern größer ist als derjenige<br />

der jungen Frauen, die doch merken, wie wichtig die Beherrschung<br />

der Sprache ist. Nicht nur in Unternehmen, sondern<br />

auch in persönlichen Partnerschaften spielt das eine ganz große<br />

Rolle. Hier komme ich auf Maria Montessori zurück: Wir müssen<br />

Gelegenheiten schaffen, in denen Kinder motiviert werden,<br />

etwas mitzuteilen, zu schreiben, etwas lesen zu können, weil<br />

das zur Teilhabe in einer Altersgruppe, zur Teilhabe in der<br />

Erwachsenengesellschaft gehört. Das gilt nicht nur für die<br />

berufliche Situation, sondern für viele sehr typische soziale<br />

Situationen.<br />

Wir haben zwar den <strong>Bild</strong>ungsföderalismus, aber die entscheidende<br />

Förderung bei der Bekämpfung von Analphabetismus<br />

leistet bis zum heutigen Zeitpunkt der Bund. Ich wüsste nicht,<br />

was passierte, wenn die vom Bund geförderten Programme auslaufen<br />

würden. Also der Föderalismus ist gestärkt worden, aber<br />

bestimmte Funktionen werden bislang nicht erfüllt.<br />

Mein Eindruck ist jedoch auch, dass sich in der Praxis schon<br />

mehr bewegt, als es die offizielle <strong>Bild</strong>ungspolitik erkennen lässt<br />

und zulässt. Die Pädagogen in Kindergärten, vor allen Dingen in<br />

Schulen, auch in Hauptschulen, haben sich angesichts der Misere,<br />

mit der sie tagtäglich konfrontiert sind, sehr viel einfallen<br />

lassen. Ich bin im Augenblick häufig unterwegs und schaue, wo<br />

die Schulen bereits etwas verändern, manchmal allein aus eigener<br />

Motivation und eigenen Ideen heraus. Erzieherinnen und<br />

„Unser Ziel muss es sein, die jungen Menschen entsprechend ihren unterschiedlichen Fähigkeiten<br />

und Lernprozessen zu fördern und – ich sage es mit Herder – aus jedem Menschen das<br />

Beste seiner Möglichkeiten zu entfalten. Hier verschleudern wir in Deutschland Fähigkeiten<br />

und Talente von Menschen.“<br />

Der andere Punkt ist der, dass wir zwar auf manches Wichtige<br />

geachtet haben, dass aber eine vernünftige Rechtschreibung<br />

offenbar nicht dazugehörte. „Hauptsache, das Kind ist kreativ.“<br />

Wenn dieses Thema wieder den Stellenwert bekäme, den es früher<br />

gehabt hat, und wir mehr auf diesem Gebiet tun und<br />

methodisch auch mehr lernen würden, könnten wir das überwinden.<br />

Trotzdem wird aufgrund der sozialen Entwicklung in<br />

unserem Land die Brücke zwischen den Gesellschaftsgruppen<br />

Lehrer werden bislang überwiegend für die Vermittlung von<br />

Fachwissen ausgebildet. Das, worüber wir hier im Augenblick<br />

sprechen, nämlich die Fragen: Wie komme ich an die Kinder<br />

heran?, Wie kann ich eventuelle Störungen diagnostizieren?,<br />

Wie fördere ich individuell?, kommen kaum an den Universitäten<br />

und pädagogischen Hochschulen vor. Wenn Sie sich etwa<br />

die Literatur zu Legasthenie anschauen, dann streiten sich die<br />

Verfasser lieber darüber, ob sie überhaupt beeinflussbar ist,<br />

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