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Bild - Verband Bildungsmedien eV

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Zwischen Disziplin und Freiheit: Bueb/Herrmann<br />

Ich selbst galt als langweilig, konnte aber überleben, weil ich<br />

geachtet wurde. Doch neben mir gab es ein paar Charismatiker,<br />

mit denen ich nicht zur gleichen Zeit auf freiwilliger Basis<br />

irgendetwas anbieten durfte, denn dann kamen weniger Schüler<br />

zu mir. Kinder müssen auch Lehrer erleben, die mittelmäßig<br />

sind, die nicht so viel können, die ungeschickt sind, aber eines<br />

muss jeder Lehrer haben: Er muss Kinder lieben, das ist für mich<br />

die Voraussetzung für diesen Beruf. Dafür soll ihm eine Art<br />

Amtsautorität zugebilligt werden, die unabhängig von seiner<br />

Person gilt.<br />

Ich bin bislang neun Mal vor Schülern aus der gymnasialen<br />

Oberstufe aufgetreten. In einer dieser Schulen wurde die Debatte<br />

sehr formal nach dem englischen Debating-System<br />

geführt. Es gab einen Chairman,<br />

und man musste eine ganze Reihe von Formen<br />

einhalten. Im Laufe der Diskussion sagten<br />

Schüler zu mir: „Herr Bueb, Sie schreiben<br />

über Amtsautorität, das ist doch etwas ganz<br />

Schlimmes.“ Ich habe ihnen entgegnet: „Was<br />

passiert denn im Augenblick in dieser Diskussion?<br />

Hier ist ein Chairman, der mit Amtsautorität<br />

auftritt, obgleich ihn noch niemand<br />

kennt. Man wusste zu Beginn ja gar<br />

nicht, ob er seine Sache gut machen würde.<br />

Dieser Mann hat kompetent agiert, aber“,<br />

habe ich gesagt, „im Saal wäre, selbst wenn<br />

er es schlecht gemacht hätte, keine Unruhe<br />

entstanden, weil ihr alle gewohnt seid, so zu<br />

debattieren, und weil ihr diszipliniert seid.<br />

Ihr erkennt zunächst seine Amtsautorität an,<br />

wie man etwa auch die Amtsautorität eines<br />

Schiedsrichters anerkennen würde.<br />

Diese Art Amtsautorität hat auch ein Lehrer,<br />

hat auch der Papst. Bei den Päpsten hat man<br />

nicht darauf geschaut, ob sie ihrem Amt<br />

gewachsen waren, sondern sie waren Papst. Diese Amtsautorität<br />

kann missbraucht werden, aber sie kann einen Lehrer auch<br />

schützen. Als Schulleiter kann ich sagen, dass eben nicht nur<br />

charismatische, wunderbare Lehrerinnen und Lehrer vor der Tür<br />

Schlange stehen, durch die man die mittelmäßigen ersetzen<br />

könnte, sondern Sie müssen diese Charismatiker wie die Nadel<br />

im Heuhaufen suchen. Ein mittelmäßiger Lehrer, der in den<br />

Beruf hineingerutscht ist und seine Sache brav macht, muss<br />

geschützt sein und würdig durch die Schule gehen können,<br />

ohne dass ihm in der Klasse einer die Anerkennung verweigert<br />

und ihn respektlos und frech behandelt. Ein Schulleiter muss<br />

dafür sorgen, dass jeder Lehrer, der an seiner Schule ist und zu<br />

dem er als Schulleiter ja sagt, würdig durch die Schule gehen<br />

kann, sonst muss er ihn in der Tat entlassen, auch um des Lehrers<br />

willen.<br />

Foto: Elke Habicht<br />

Ich fordere, dass Lehrer von Schulleitern in Schulen mehr<br />

geführt werden, das findet bislang praktisch nicht statt. Wie<br />

sieht denn der Alltag eines Lehrers aus? Er verschwindet in seinem<br />

Klassenzimmer, und kein Mensch weiß, was da passiert,<br />

außer den Schülern. Die finden es aber nicht interessant genug,<br />

um darüber zu berichten, und folglich bleibt es unbekannt. Lehrerinnen<br />

und Lehrer sind Einzelkämpfer, sie sind individuelle<br />

Künstler. Wenn es in einem Jahrgang vier 10. Klassen gibt, gibt<br />

es vier Mal Englischunterricht, doch kein Lehrer weiß vom<br />

anderen, was er in seiner Klasse macht. Auch der Schulleiter<br />

weiß es nur bedingt. Es wird, zu wenig hospitiert, es gibt zu<br />

wenig Anleitung, es finden zu wenig Personalgespräche statt.<br />

Lehrer werden auch nicht gelobt, erhalten keine Anerkennung<br />

und keine Kritik, nichts dergleichen. Das ist im Grunde eine<br />

Katastrophe. Wenn man sich wirklich gute Schulen anschaut,<br />

mein Beispiel ist etwa die berühmte Helene-Lange-Schule in<br />

Erfolgreich lernen kann nur derjenige, dem auch etwas abverlangt wird, so Dr. Bernhard<br />

Bueb, im <strong>Bild</strong> neben Moderator Christian Hümmeler.<br />

Wiesbaden, dann sieht man, dass es dort meist eine gute und<br />

klare Führung gibt. In den meisten Schulen jedoch mangelt es<br />

an dieser Führung durch die Schulleiter.<br />

Familie ist nicht alles<br />

Ich habe meine Leser sehr irritiert, weil man in der Regel für<br />

Disziplin und gegen Ganztagserziehung ist, oder man ist für<br />

Ganztagserziehung und gegen Disziplin. Die sogenannten Konservativen<br />

sind dafür, dass die Familie alles ist und die Ganztags-<br />

oder Gemeinschaftserziehung vernachlässigt wird. Ich bin<br />

ganz auf der Seite von Frau von der Leyen, was Kinderkrippen<br />

angeht, nämlich Krippen als Angebot für die vielen Frauen, die<br />

berufstätig sein wollen, die wir als Mädchen so erzogen haben,<br />

dass sie sich auch über den Beruf definieren. Frankreich kennt<br />

das Ganztagsangebot auch in der Kinderkrippe seit 1880, übrigens<br />

aus einem ähnlichen Grunde, warum wir es heute einführen,<br />

weil damals ein Geburtenrückgang zu verzeichnen war.<br />

Heute ist Frankreich das einzige westeuropäische Land, in dem<br />

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