Bild - Verband Bildungsmedien eV
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unserer 52 Grundschulen in Bonn mit einem Ganztagsangebot<br />
ausgestattet haben. Noch immer ist die Nachfrage deutlich<br />
höher als die Zahl der Plätze, die wir anbieten können. Familie<br />
und Beruf müssen miteinander vereinbar sein. Je höher die Qualifikation<br />
der Frauen ist, umso stärker streben sie in den Beruf<br />
zurück. Wir können nicht mehr von der Vorstellung ausgehen,<br />
dass Frauen im Wesentlichen zu Hause sind und die Kinder versorgen.<br />
Wir brauchen Schulen, die den Bedürfnissen der Familie<br />
entsprechen. Deshalb ist die Frage des Ganztagsangebotes für<br />
viele Eltern ein hartes Kriterium der Schulwahl bei der Grundschule<br />
und bei den weiterführenden Schulen. Darüber hinaus hat<br />
die Ganztagsschule mehr Möglichkeiten zu fördern, weil sie einfach<br />
mehr Zeit zur Verfügung hat. Pisa hat uns dargelegt, dass<br />
unsere Kinder im deutschen Schulsystem zu inputorientiert<br />
unterrichtet werden, zu wenig Zeit zum aktiven Lernen haben.<br />
Diese Zeit haben sie in einer Ganztagsschule.<br />
Natürlich gibt es auch viele Eltern, die keinen Kontakt zur<br />
Schule suchen. Über diesen hochproblematischen Anteil von<br />
Eltern müsste sich auch die Politik, aber vor allem jede einzelne<br />
Schule Gedanken machen.Viele dieser Eltern haben übrigens<br />
in ihrer Biografie selber ein <strong>Bild</strong> von Schule gewonnen, das mit<br />
vielen Verlusterlebnissen, Negativerlebnissen gekoppelt ist. Als<br />
Tony Blair 1997 angefangen hat, vehement Elternarbeit durch<br />
Early Excellent Center anzukurbeln, wollte er diesen Eltern, die<br />
zu Hause ihren Kindern Negativbeispiele vorleben: arbeitslos<br />
sind, schlecht ausgebildet sind, mit den Ämtern schlechte<br />
Erfahrungen gemacht haben, Hilfe anbieten, damit sie ihre Kinder<br />
besser fördern können. Sie leiden daran, dass sie ihr eigenes<br />
Selbstbewusstsein verloren haben, und wissen, dass sie am<br />
Ende der Gesellschaftsskala angekommen sind oder sich im<br />
Grunde genommen bereits außerhalb dieser Gesellschaft befinden.<br />
Die Erfahrungen haben ihm Recht gegeben.<br />
Es wäre eine reale Chance, über Schule mit diesen Eltern anders<br />
zusammenzuarbeiten, wenn man andere Zugangsmöglichkeiten<br />
zu den Eltern schaffen würde. Dazu müssen die Schulen anders<br />
ausgestattet werden. Sie brauchen anderes Personal: Sozialarbeiter,<br />
Schulpsychologen, Schulassistenten. Die Elternarbeit ist<br />
mit allen Eltern wichtig. Das ständige Lamento, dass die Eltern<br />
nichts tun, hilft nicht überhaupt nicht weiter, wir müssen die<br />
Elternarbeit mit diesen Eltern verändern. Auch an dem Punkt<br />
müssen wir mehr Verantwortung zeigen.<br />
Es gibt kein Land der Welt, in dem so viel professionelle Nachhilfe<br />
geleistet wird wie in Deutschland. 4 Milliarden Euro geben<br />
die Eltern in Deutschland jedes Jahr für Nachhilfe aus; das ist<br />
so viel, wie die Bundesregierung über vier Jahre für ein Ganztagsschulprogramm<br />
aufgelegt hat. Vier Milliarden für Nachhilfe<br />
ist eigentlich ein Offenbarungseid des Schulsystems. Und damit<br />
kommen wir wieder zur Frage der individuellen Förderung.<br />
Hausaufgaben führen in vielen Familien zum Hausfriedensbruch<br />
oder, milder formuliert, zu heftigen Konfliktanlässen. Oft entsteht<br />
hier ein immenser Druck, und die Last der Schule wird auf<br />
diese Art und Weise in der Familie abgeladen.<br />
Viele Eltern trauen sich nicht, ihre Kinder einfach ohne Hilfe<br />
Hausaufgaben machen zu lassen, weil sie Angst haben, dass<br />
ihre Kinder am Ende nicht das Schulziel erreichen. Andere Kinder<br />
kommen grundsätzlich ohne Hausaufgaben in die Schule.<br />
Hausaufgaben in der heutigen Form mit den sehr unterschiedlichen<br />
Hilfestellungen, die Kinder erhalten, unterstützen das<br />
selektive Schulsystem und benachteiligen Kinder aus schwierigen<br />
familiären Hintergründen. Hausaufgaben führen oft zu<br />
individuellen Benachteiligungen, aber dienen nicht der individuellen<br />
Förderung.<br />
STATEMENT<br />
Claudia Solzbacher<br />
Wesentliches Zeichen einer guten Schule ist, dass es eine<br />
gemeinsame Zielsetzung auf verschiedenen Ebenen gibt. Kollegien<br />
müssen sich zusammensetzen und sich fragen, was denn<br />
das gemeinsame Ziel ist, wohin sie die Schule bringen wollen,<br />
wo die Stärken der Schule liegen, worin die Lehrerkompetenzen<br />
bestehen, was noch ausgebaut werden könnte – und mit welchen<br />
Maßnahmen sie das Ziel erreichen können. Ein Hauptmerkmal<br />
guter Schulen ist, ob sich die Schule eine solche reflektierte<br />
Richtung gegeben hat, und das vermag man an ganz<br />
unterschiedlichen Merkmalen abzulesen.<br />
Welche Chancen den Kindern im Laufe ihres Schullebens offenstehen,<br />
hängt auch sehr von der Durchlässigkeit der einzelnen<br />
Schulformen ab, und diese ist in den letzten Jahrzehnten<br />
immer schlechter geworden. Es gab früher die Möglichkeit – an<br />
das sogenannte „Pudding-Abitur“ werden sich einige noch erinnern<br />
–, in gesonderte Gymnasialklassen zu wechseln, wenn<br />
Schüler und Schülerinnen sich in Haupt- oder Realschule<br />
bewährt hatten. Das ist heute nicht mehr der Fall. Dieses fehlende<br />
Moderieren von Übergängen in unserem Schulsystem<br />
halte ich für ein großes Problem. Folglich müssen wir darüber<br />
nachdenken, wie wir dieses System durchlässiger gestalten und<br />
wie zu diesem Zwecke z. B. auch Schulen vernetzter zusammenarbeiten<br />
können. Wir brauchen (um ein Beispiel zu geben) die<br />
Möglichkeit, einen sogenannten „Underachiever“, einen<br />
besonders begabten Minderleister, der auf der Hauptschule ist,<br />
aufs Gymnasium schicken zu können. Möglicherweise ist er vorher<br />
nicht als besonders begabt identifiziert worden. <strong>Bild</strong>ungsnetzwerke<br />
zwischen Schulen in Regionen wären eine Möglichkeit,<br />
um <strong>Bild</strong>ungsbiografien nahtloser zu gestalten. Darauf<br />
legen wir im Moment jedoch viel zu wenig Wert. Eine gute<br />
Schule erkennt man also auch zunehmend daran, dass und wie<br />
sie vernetzt ist.<br />
Ein weiteres Beispiel, was Vernetzungen bewirken können: Es<br />
gibt eine ganze Reihe Hauptschulen, die sich bemühen, dem<br />
Image, dass in der Hauptschule nur die „Loser“ landen, entgegenzuwirken.<br />
Ich habe einen großen Modellversuch wissenschaftlich<br />
begleitet, bei dem es darum ging, den sogenannten<br />
„Benachteiligten“ durch Förderung zu einer höheren Lernkom-<br />
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