Bild - Verband Bildungsmedien eV
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gewollt und von der Politik ermöglicht werden. Vielleicht muss<br />
die Politik in NRW durch ein Volksbegehren in die richtige Richtung<br />
gesteuert werden. Wir brauchen eine gemeinsame Schule<br />
für alle Kinder, nicht in 10 Jahren oder 30 Jahren, sondern jetzt.<br />
Wir müssen in den Schulen Kinder auf das Leben vorbereiten.<br />
Das heißt, Menschen aus allen Schichten und mit allen Begabungen<br />
müssen lernen, miteinander auszukommen. In einem<br />
demokratischen Staat müssen sie lernen, mit allen Menschen zu<br />
kooperieren, im Team zu arbeiten und demokratisch zu handeln.<br />
Wir brauchen mehr Inklusion und weniger Exklusion in<br />
unserer Gesellschaft, dazu muss die Schule als gesellschaftliche<br />
Einrichtung ihren Beitrag leisten.<br />
Ein Teil unseres Problems besteht zudem in einer hierarchisch<br />
organisierten Schullandschaft. Bei einer Telefonaktion des Kölner<br />
Stadt-Anzeigers haben viele Eltern angerufen und darauf hingewiesen,<br />
dass sie in dieser bürokratisch und hierarchisch organisierten<br />
Schule entweder über den Schulleiter oder über die<br />
Schulaufsicht immer mit Wünschen und Anliegen ausgebremst<br />
werden. Je größer die Unselbstständigkeit der handelnden Personen<br />
ist, umso fester ist der Blick nach oben gerichtet.<br />
Schule muss für das eigene Tun und Handeln Verantwortung<br />
übernehmen. Dies ist der richtige Weg. Dazu benötigen die<br />
Schulen im Entwicklungsprozess Unterstützung. Solange<br />
jedoch nur der TÜV kommt und ähnlich wie bei den Schülerinnen<br />
und Schülern im wesentlichen Defizite an einer Schule<br />
sucht, solange wird die hierarchische Struktur nicht aufgebrochen<br />
und die Verantwortung vor Ort nicht wirklich ausgebildet.<br />
Verantwortung bedeutet, Zutrauen und Vertrauen in einen zu<br />
setzen. Damit tun wir Deutschen uns sehr schwer.<br />
Noten sagen nur ungenügend etwas über die Entwicklung und<br />
die Leistungsfähigkeit eines Kindes aus. Sie vergleichen und<br />
beurteilen nicht die individuellen Lernzuwächse. Individualisierte<br />
Förderung kann nicht Gleichschritt Marsch bedeuten. So<br />
ist aber unser Unterricht angelegt. Individuelle Förderung muss<br />
es Kindern ermöglichen, Leistungsnachweise zu unterschiedlichen<br />
Zeiten zu erbringen. Klassenarbeiten könnten zu unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten geschrieben werden oder Leistungen<br />
könnten wiederholt werden, um Kinder über Erfolgserlebnisse<br />
voranzubringen. Manche Kinder brauchen möglicherweise in<br />
einem Halbjahr mehr Zeit für das eine Fach als für ein anderes.<br />
Wir müssen abrücken von dem Prinzip, für alle denselben Input,<br />
die gleich Überprüfung zum selben Zeitpunkt, zu dem jeder das<br />
Gleiche können soll. In den deutschen Ministerien bestehen<br />
derzeit nur vage Vorstellungen davon, was individuelle Förderung<br />
wirklich bedeuten würde.<br />
In einem solchen Kontext könnte man bei einer Schülerin oder<br />
einem Schüler zunächst die musische Begabung stärken, um<br />
dann die Möglichkeit zu haben, etwas später auch die mathematische<br />
Fähigkeit besser zu fördern oder umgekehrt. Die<br />
Notenfixierung bedeutet oft, dass die Neugierde, die Begeisterung<br />
und das natürliche Lernverhalten von Kindern verloren<br />
gehen. Sobald wir über Noten Lernen regulieren, lernen die<br />
Kinder eine sekundäre Motivation: Sie lernen nicht mehr, dass<br />
Lernen ihnen Freude macht, sondern sie tun es wegen der<br />
Note. Andere tun es dann gar nicht mehr. Der natürliche Drang,<br />
zu lernen und Neues zu erfahren, geht in den Schulen allzu oft<br />
verloren.<br />
Die Erfahrungen lehren uns: Je früher Kinder Noten in der<br />
Grundschule bekommen, desto früher fängt der Nachhilfeunterricht<br />
an, und damit wächst der Druck auf Kinder, für ein<br />
bestimmtes Fach eine gute Note zu bekommen. Die Note steht<br />
im Vordergrund, nicht mehr die entsprechende Fähigkeit.<br />
Die Schulgesetzgebung in NRW hat uns in unseren Reformbemühungen<br />
um Jahrzehnte zurückgeworfen. Insofern glaube ich,<br />
dass wir, je nachdem, wie stark der Druck der Bürger wird, erst<br />
in frühestens zehn oder erst in zwanzig Jahren zu nennenswerten<br />
Veränderungen kommen werden. Andererseits dürfen wir,<br />
angesichts der Leistungen unserer Schüler und Schülerinnen in<br />
unserem System, nicht mehr lange warten, weil alle anderen<br />
Länder um uns herum sich bewegen, sich seit Jahren bereits auf<br />
den Weg gemacht haben. Wir müssen aufholen und an Tempo<br />
zulegen. Wir stehen mit unserer Wirtschaft, mit unserem <strong>Bild</strong>ungssystem,<br />
mit unserer Gesellschaft in Konkurrenz zu anderen<br />
Ländern der Welt. Wir haben folglich nicht so viel Zeit!<br />
STATEMENT<br />
Jürgen Nimptsch<br />
Wir geben den Schülerinnen und Schülern unserer Schule im<br />
Rahmen unseres Schulthemas die Gelegenheit, in jedem Jahr,<br />
mit jedem Lehrer und jeder Lehrerin, in jeder Lerngruppe ein<br />
geregeltes Feedback durchzuführen, sich zu äußern – auch über<br />
Ängste, Schwierigkeiten und Vorbehalte. Darüber hinaus sollen<br />
sie in jedem zweiten Jahr das ganze System bewerten, ihre<br />
eigenen Empfindungen, ihre Befindlichkeiten äußern und auf<br />
unsere Schule hin überprüfen und sich überlegen, was sich an<br />
dieser Schule ändern müsste. Wir führen ein sogenanntes Schulbarometer<br />
durch, bei dem sich Schüler, Eltern, Lehrerinnen und<br />
Lehrer jeweils auf einer eigenen Plattform zu der Situation<br />
äußern, und daraus ziehen wir Erkenntnisse. Die Schülerinnen<br />
und Schüler an unserer Schule haben keine Angst; sie kommen<br />
gerne in die Schule, und sie nehmen in aller Regel auch mit<br />
Hilfe und Unterstützung von Expertinnen und Experten von<br />
außen sowie mit unserer Unterstützung die Zukunft in den<br />
Blick. Uns hilft natürlich, dass bei uns so gut wie kein Kind<br />
unsere Schule ohne Schulabschluss verlässt, und damit hat man<br />
zunächst einmal das Wichtigste geschafft.<br />
Alles, was man tun kann, geschieht in unserer Ganztagsschule.<br />
Was daneben geschehen soll, dazu geben wir Rat und Hilfe.<br />
Doch eigentlich ist es nicht notwendig, hier zusätzlich zu<br />
investieren.Aber Eltern haben natürlich immer das Beste für ihr<br />
Kind im Sinn und wollen manchmal noch etwas Unterstützung<br />
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