29.12.2013 Aufrufe

Bild - Verband Bildungsmedien eV

Bild - Verband Bildungsmedien eV

Bild - Verband Bildungsmedien eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

der Sache nach lautet die Übersetzung des aus dem Griechischen<br />

stammenden Worts Pädagoge „Kinderführer“, und warum<br />

soll er es heute nicht mehr sein?<br />

Ich habe seit September etwa 45 Vorträge gehalten. Die Hauptgruppe,<br />

die zu meinen Vorträgen kommt, sind Menschen im<br />

Alter zwischen 25 und 40, Eltern und Lehrer. Darunter sehr viele<br />

Eltern, die in sogenannten intakten Familien leben, mit zwei<br />

oder drei Kindern. Von diesen höre ich beim Signieren meines<br />

Buches immer wieder Äußerungen wie: „Herr Bueb, wir danken<br />

Ihnen, dass Sie uns ermutigen, neu darüber nachzudenken, ob<br />

wir unseren Kindern gerecht werden. In unseren Familien geht<br />

es zu, wie Sie es sagen. Wir diskutieren den ganzen Tag und<br />

Berg bestiegen zu haben löst Glücksgefühle aus, ein Fußballspiel<br />

gewonnen zu haben, eine Sonate vor einem Publikum gut<br />

gespielt zu haben, das löst Glücksgefühle aus – das Glück der<br />

Anstrengung. Und dieses Glück der Anstrengung müssen sie<br />

wiedererkennen, dann lernen sie den Nutzen von Disziplin, und<br />

darum geht es mir.<br />

„Worunter leiden Kinder heute? Sie leiden darunter, dass Erwachsene nicht durch ihr Vorbild<br />

erziehen wollen. Erziehen heißt nach meiner Auffassung führen wollen, heißt Kindern gegenüber<br />

aktiv werden, Orientierung geben, Grenzen setzen, Konflikte wagen, und das unterlassen<br />

viele Eltern heute – und in der Folge auch viele Lehrer.“<br />

bringen deswegen oft Beruf und Familie nicht überein. Wir<br />

erschöpfen uns in diesem täglichen Diskutieren. Und nun ermutigen<br />

Sie uns, einmal andere Wege zu beschreiten.“ Diese Sätze<br />

signalisieren die Ratlosigkeit vieler Eltern.<br />

Manchmal höre ich den Einwand, in der demokratischen Gesellschaft<br />

gehöre das zähe Verhandeln und Diskutieren eben dazu,<br />

und das müssten Eltern und Kinder auch lernen. Aber man sollte<br />

nicht täglich diskutieren, ob der Papierkorb geleert wird oder<br />

nicht. Diese Diskussionen über die kleinen Ordnungsfragen des<br />

Alltags müssen aufhören. Wenn die Mutter heute ein Kind auffordert,<br />

seinen Papierkorb auszuleeren, antwortet das Kind:<br />

„Gleich“, und es geschieht nichts. Das Wort dient dazu, die Mutter<br />

ruhigzustellen und Zeit zu gewinnen. Ich beschreibe in „Lob<br />

der Disziplin“ auch meine eigene Kindheit. Ich hatte vier<br />

Geschwister, und wenn wir anfingen, über diese kleinen Fragen<br />

zu diskutieren, und fragten, warum, dann hat meine Mutter<br />

gesagt: „Darum!“ Es war herrlich irrational. Doch sie hätte den<br />

Tag mit fünf Kindern nicht überlebt, wenn sie mit jedem diskutiert<br />

hätte.<br />

Ich habe in meinem Buch dem Spiel ein eigenes Kapitel gewidmet.<br />

Das Spiel ist für mich der Königsweg, den Nutzen von Disziplin<br />

zu erkennen. Was wir heute den Kindern und Jugendlichen<br />

beibringen müssen, ist ein anderer Begriff von Glück, als<br />

sie ihn durch die Medien erfahren. Jugendliche glauben heute,<br />

dass das Glück von außen kommt, durch Fernsehen, Alkohol<br />

und Drogen. Sie glauben, dass erotisches Glück automatisch aus<br />

der Begegnung schöner Körper erfolgt, dass Reichtum Glück<br />

bringt usw. Wir müssen ihnen aber beibringen, dass Glück<br />

immer die Folge einer Anstrengung ist. Beispielsweise einen<br />

Am Anfang aber steht, wie Kant richtig sagt, der Zwang. Sie<br />

werden ein Kind nicht allein durch Einsicht dazu bringen, eine<br />

Anstrengung zu machen, die nicht in seiner Natur liegt. Wenn<br />

es laufen lernt, ist das quasi eine natürlich gegebene Anstrengung,<br />

die es sehr gut meistert. Wenn es jedoch etwas tun soll,<br />

das in seinem Leben nicht von Natur aus vorkommt, z. B. Klavierspielen<br />

oder gute Manieren beim Essen lernen, oder überhaupt<br />

das Arbeiten lernen, dann bedarf es am Anfang des Zwanges.<br />

Ich kann einem Kind nicht sagen, es solle jetzt bitte einsehen,<br />

dass es arbeiten muss, sondern ich sage: „Du arbeitest<br />

jetzt.“<br />

Ich habe gerade einen Film gesehen, in dem eine Szene vorkommt,<br />

die pädagogisch unglaublich lehrreich ist, und zwar der<br />

Film „La Vie en Rose“ über das Leben Edith Piafs. Ein verwahrlostes<br />

junges Mädchen mit einer genialen Stimme und Begabung<br />

wird entdeckt, und man erkennt, dass sie ohne harte<br />

Schulung nie zu Größe kommen wird. Sie bekommt einen<br />

Gesangslehrer zugewiesen und dieser verlangt von ihr reine<br />

Unterwerfung. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen,<br />

diese harte Schule des Gesangsunterrichts durchzumachen. Der<br />

Gesangslehrer ist von einer unglaublichen Brutalität, und am<br />

Ende behält er recht. Er zwingt sie, sich seinen Anweisungen zu<br />

unterwerfen und diese harte Schule zu durchlaufen, und<br />

schließlich wird sie eine wunderbare Sängerin. Ohne Zwang<br />

hätte sie dieses Ziel nicht erreicht, die Einsicht ist dadurch<br />

gekommen, dass sie merkte, wie die Formung ihr Erfolg brachte.<br />

Ein Schüler wird meiner Ansicht nach nur dann erfolgreich lernen,<br />

wenn ein Lehrer ihm deutlich macht, dass er ihm aus Fürsorge,<br />

aus Liebe etwas abverlangt, und wenn er dies mit einer<br />

strengen Forderung verbindet. Es ist erstaunlich, dass strenge<br />

Lehrer Ansehen haben, aber nur dann, wenn sie etwas können<br />

und wenn ihre Strenge verbunden ist mit Zuwendung und mit<br />

Motivation. Nun sind diese Menschen ja leider rar gesät in der<br />

Welt, in allen Berufen, nicht nur im Lehrerberuf. Wir müssen<br />

dafür eintreten, dass auch langweilige Lehrer geachtet werden.<br />

64

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!